Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
nachdachte.
»Ihr sagtet etwas von drei Möglichkeiten. Oder habe ich Euch falsch verstanden?«
Cromwell zuckte mit den Schultern und warf einen kurzen Blick zur Tür.
»Nun, Ihr könntet auch fliehen.«
»Es sind noch nicht viele Gefangene aus dem Tower entkommen. Außerdem ist das keine ernstzunehmende Alternative.« Er erinnerte sich wieder daran, dass Tom Lasser ihn schon einmal davon hatte überzeugen wollen zu fliehen. Aber der Kapitän wäre damit ein hohes Risiko eingegangen. John hatte sich geweigert, das auch nur in Erwägung zu ziehen.
Cromwell legte den Kopf schief, so als lausche er auf Geräusche draußen vor der Tür, dann sagte er so leise, dass John sich anstrengen musste, um ihn zu verstehen.
»Ihr sollt zuerst nach Croydon gebracht werden, wo Euch der Erzbischof in seinem Palast persönlich verhören will. Cranmers Leute werden Euch dort hinbringen. Ihr werdet eine Gelegenheit zur Flucht erhalten.« Dann fügte er bedeutungsvoll hinzu: »Eure Bewacher werden Euch nicht folgen.«
Hatte der Minister das tatsächlich gesagt? Das war eine Falle. Das konnte nur eine Falle sein.
»Ich weiß, was Ihr gerade denkt. Aber es ist so, wie ich gerade gesagt habe: Man wird Euch nicht verfolgen. Erzbischof Cranmer und Bischof Gardiner, der, wie ich gehört habe, ein guter Bekannter von Euch ist, werden zusammen mit Bischof Stokesley bei Eurem Prozess die Jury bilden. Als Repräsentanten der heiligen Mutter Kirche sind sie gezwungen, Euch für schuldig zu befinden, wenn Ihr vor ihnen erscheint. Aber sowohl der Erzbischof als auch Bischof Gardiner haben zugesichert, dass sie Euch nicht verfolgen werden, wenn Ihr flieht.« Er zuckte mit den Schultern und sagte so nüchtern, als würden sie über den Preis des Getreides und nicht über Leben und Tod sprechen: »Bei Bischof Stokesley verhält es sich natürlich anders.«
John schüttelte den Kopf.
»Ich würde nicht weit kommen. Stokesley und Thomas More haben ihre Spione überall.«
»Möglicherweise. Aber was habt Ihr schon zu verlieren? Angenommen, Euch gelingt in der Nähe vom Brixton Wood die Flucht, dann solltet Ihr ungefähr fünf Meilen weit Richtung Nordosten gehen, bevor Ihr in der Nähe von Greenwich die Themse erreicht. Die Wachen wurden angewiesen, die Meldung über Eure Flucht hinauszuzögern – sie werden behaupten, dass sie Euch im Wald gesucht haben. Sie werden sagen, dass Ihr nach Westen geflohen seid, sodass Ihr Zeit gewinnt. Folgt dem Lauf des Flusses, bis Ihr ein ganz bestimmtes Schiff am Kai liegen seht. Soweit ich weiß, ist der Kapitän ein alter Freund von Euch.«
Tom Lasser! Dies machte ihm Hoffnung, denn er vertraute dem Kapitän. Aber das stellte ihn vor ein neues Problem. Die Situation war diesmal anders als damals, als der Kapitän und Humphrey Monmouth ihm die Flucht ermöglicht hatten. Damals hatte er sich nur einer unrechtmäßigen Verfolgung entzogen. Diesmal aber sah er sich einer offiziellen Anklage gegenüber. Wenn er darauf verzichtete, seine Ansichten vor der versammelten Geistlichkeit zu rechtfertigen, käme das nicht einem Widerruf gleich? Würde er dann nicht in Wirklichkeit, so wie Petrus am Lagerfeuer des Teufels, ebenjenen Christus verleugnen, dem zu dienen er gelobt hatte? Selbst Luther hatte, bevor er Schutz suchte, vor dem Kirchenrat seinen Glauben bekannt und erklärt: »Hier stehe ich und kann nicht anders.«
Konnte also John Frith anders?
Cromwell griff in seine Tasche und nahm eine Kerze, eine kleine Rolle Papier und eine Schreibfeder heraus.
»Cranmer hält sich zur Zeit in Canterbury auf. Er wird nicht vor Ablauf einer Woche nach Lambeth zurückkehren. Ich vermute, er will Euch damit Zeit geben, über diesen Vorschlag nachzudenken und auch Eurem Freund ermöglichen, die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Ich dachte, dass Ihr vielleicht Eure Argumentation niederschreiben wollt, für den Fall, dass Ihr entscheidet, Euch dem Prozess zu stellen. Es ist für einen Mann – selbst für einen so klugen Mann wie Euch – manchmal schwer, seine Gedanken zu ordnen, wenn er der Androhung der Verdammnis gegenübersteht.«
»Wie kommt es, dass …«, besser, er nannte seinen Namen nicht, »mein Freund an dieser Sache beteiligt ist?«
»Bischof Gardiner war auch der Tutor Eures Freundes, der im Übrigen genau wie Ihr eine äußerst vielversprechende Karriere in der Kirche aufgegeben hat, wenn auch für eine weniger heilige Mission als die Eure. Er hat den Bischof überzeugt. Aber seid gewarnt, Master Frith,
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