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Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)

Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)

Titel: Die englische Ketzerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Vantrease
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einem solchen Hof gab es keinen Platz mehr für Thomas Wolsey. Er freute sich jedoch überhaupt nicht darauf, nach York zurückzugehen. Eigentlich hatte er gehofft, nach Rom berufen zu werden und in der Kurie zu sitzen. Aber dieser Traum war zerplatzt.
    Das Licht, das inzwischen schräg durch die Fenster fiel, sagte ihm, dass es jetzt fast so weit war. Die Diener kamen bereits herein, um die Tafel aufzustellen. Dies war wohl sein letztes Abendessen in diesem prächtigen Saal. Der König ließ bereits die Wände nach seinen Vorstellungen schmücken. Schon bald würde man Wolsey bitten, sein Siegel, das Siegel des Kanzlers, zu übergeben. Morgen brach er nach Hause auf und betete darum, dass ihn seine Feinde nicht verfolgten. Sollten die Schakale sich doch um das große Siegel streiten. Thomas Cromwell oder Thomas More. Wolsey brauchte das alles jetzt nicht mehr zu kümmern, auch wenn er denjenigen, der die große Kette tragen würde, schon jetzt bemitleidete. Für Wolsey war sie nur noch eine Bürde gewesen, seit Heinrich sich von seiner spanischen Königin abgewandt hatte.
    »Wo sollen wir den Wappenschild des Königs aufhängen, Euer Eminenz?«
    Wolsey stand da und überlegte, während er noch einmal sein eigenes Wappen hoch oben an der Wand am Ende des Saales betrachtete. Heilige Symbole unter einem Kardinalshut, gemalt auf rotem Grund: das Kreuz und die Schlüssel zum Königreich über dem Motto Dominus mihi adjutor .
    »Der Herr ist mein Beistand«, murmelte er und sann über diese Ironie des Schicksals nach.
    »Euer Eminenz?«
    »Hängt es dorthin«, sagte er barsch und zeigte auf sein Wappen. »Packt das andere ein und schickt es nach York. Und legt die goldenen Tischtücher auf«, sagte er. »Der König soll dieses Haus mit Wohlwollen betrachten.«
    Er verließ den Saal und begab sich auf einen letzten Rundgang durch Küche und Keller. Den Wein für das Mahl würde er persönlich aussuchen.
    Als Thomas More die Küchen von Hampton Court betrat, rümpfte er angesichts der unglaublich intensiven Sinneseindrücke, die auf ihn einstürmten, angewidert die Nase. Hier roch es nach rauchenden Schornsteinen, verbranntem Fett und dem Blut der frisch geschlachteten Tiere. Gütiger Gott, allein der Lärm konnte einen schier wahnsinnig machen: das Scheppern von Pfannen und Töpfen, das laute Schreien und Rufen des Küchenpersonals. Beißender Rauch drang in seine Lunge. Er hustete. So stellte sich Thomas die Hölle vor. Aber durch den blauen Dunstschleier, der in der größten Küche hing, wo ein Metzger gerade den Rumpf eines Hirschs auf einen Bratspieß steckte, sah er denjenigen, den er suchte. Er schob sich zwischen den schwitzenden Angestellten hindurch – einige von ihnen in Livree, andere in Lumpen –, die in dem Labyrinth von Zubereitungsräumen hin und her eilten. Man erkannte ihn, und die Menge teilte sich vor ihm wie das Rote Meer vor Moses.
    Hampton Court war kein Ort, an dem Sir Thomas More sich gern aufhielt, nicht einmal in den kostbar ausgestatteten Räumen der oberen Geschosse. Es traf zwar zu, dass Thomas sich gern mit schönen Dingen umgab – Bildern, Büchern, einer üppig gedeckten Tafel –, aber der Mangel an Ordnung, der dem Überfluss stets zu eigen war, war ihm ein Greuel. Der ganze Palast, angefangen bei seinen prächtigen Gärten bis hin zu seiner üppig geschmückten Kapelle, verströmte den Gestank von Intrige und Angst. Dieses Pandämonium zu betreten, in welchem zweimal täglich die Speisen für die Horden von Speichelleckern zubereitet wurden, die durch dessen Tore ein und aus gingen, zerrte an seinen Nerven, bis sie schließlich so gespannt waren wie die Saiten einer Harfe. Er sehnte sich nach seiner Bibliothek in Chelsea, wo er sich nach einem schlichten Mahl mit seiner Familie seinen Büchern widmen konnte. Der König hatte ihn jedoch heute Abend nach Hampton Court bestellt, und so hatte er beschlossen, den Abend wenigstens sinnvoll zu nutzen.
    Der Mann, den er gesucht hatte, schleppte gerade ein Holzscheit, das dick wie ein Baumstamm war. Thomas versuchte sich an den Namen des Mannes zu erinnern, der ihn ein oder zwei Mal mit dem Boot von Hampton Court nach Chelsea gefahren hatte.
    Albert … Alfred … nein, weiter hinten im Alphabet … James … Paul … Peter …
    »Robert«, rief er und ging direkt auf den Mann zu.
    Der Diener warf den Klotz in den riesigen Schlund der Feuerstelle, die das gesamte Ende des Raums einnahm, und ging mit einem Bündel Kleinholz auf die Backöfen an

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