Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
Mann, den sie kannte. Aber auch ihr Bruder und selbst ihr Vater hatten früher so gesprochen. Und jetzt trauerte sie um beide. Der eine hatte sein Leben verloren und der andere ebenjenen freien Geist, dessen er sich einmal gerühmt hatte.
»Ihr seid ein wirklich außergewöhnlicher Mann, John Frith. Ihr habt mir die größte Ehre meines Lebens erwiesen. Die Frau, die Euch einmal heiratet, kann sich glücklich schätzen. Aber ich bin mir nicht sicher … ob ich den Mut besitze, der von einer solchen Frau verlangt wird.« Und außerdem kann ich überhaupt nicht mehr klar denken, wenn Ihr mich so anseht. »Ich brauche einen gewissen Abstand, um über das, was Ihr gesagt habt, nachdenken zu können. Soll ich Gilbert suchen und zu Euch schicken?«
Er schüttelte den Kopf.
»Wenn ich auf Eure Gesellschaft verzichten muss, bin ich lieber allein.«
»Meinetwegen«, sagte sie, als sie die Tür gerade so weit öffnete, dass sie in den Gang hinausspähen konnte.
»Dann werdet Ihr nicht abreisen, ohne Euch von mir zu verabschieden?« Sie spürte, wie seine Finger ihren Nacken liebkosten, eine Haarsträhne glätteten, die unter ihrer leinenen Haube hervorschaute. Seine Berührung fühlte sich kühl auf ihrer heißen Haut an.
»Ich werde nicht gehen, ohne Euch eine gute Reise zu wünschen. Das verspreche ich Euch.«
»Die Siren’s Song wird in fünf Tagen eintreffen«, sagte Lady Walsh ein paar Stunden später, als Kate ihr dabei half, die Fässer im Keller mit einem Datum zu versehen. »Ihr müsst ihm eine Antwort geben. Wenn Ihr sie noch länger hinauszögert, wird die Zeit Euch die Entscheidung abnehmen.«
»Ich weiß, ich weiß.« Der Keller kam ihr plötzlich eng und bedrückend vor. Die feuchte Luft, die vom säuerlichen Geruch gärender Äpfel erfüllt war, erschwerte ihr das Atmen. »Aber selbst wenn – was ist mit dem Geschäft … und was ist mit meinem Bruder? Ich kann doch nicht einfach das Land verlassen, ohne meinem Bruder zu sagen, wohin ich gehe. Und die Druckerei, die uns unser Vater hinterlassen hat, kann ich doch nicht aufgeben.«
»Lord Walsh könnte einen Makler beauftragen, der sich um Euer Eigentum kümmert. Wo ist Euer Bruder? Wir könnten ihm einen Boten schicken. Aber ich nehme an, dass Ihr selbst mit ihm sprechen wollt.«
»In Gloucestershire. Auf dem Clapham-Hof. Irgendwo in der Nähe von Gillingham Manor.«
»Das liegt ja gleich in der nächsten Grafschaft. Zu Pferd schafft man es an einem Tag hin und zurück, wenn man in aller Frühe aufbricht. Aber bestimmt wollt Ihr dort übernachten. Ich denke, dass dafür noch genügend Zeit ist. Besucht Euren Bruder, meine Liebe. Das wird Euch beruhigen. Ich weiß, dass es nicht leicht ist, ins Exil zu gehen, ohne seine Angelegenheiten geregelt zu haben. Ich werde Euch eine Begleitung mit auf den Weg geben.«
Der Gedanke, dass ihr Bruder ganz in der Nähe wohnte, war Kate bisher gar nicht gekommen. Was würde John sagen, wenn sie ihm von Frith erzählte? Würde er ihr seinen Segen geben? Oder würde er sie mit dem geistesabwesenden Ausdruck, der seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis auf seinem Gesicht lag, anstarren und schweigen? Aber wenigstens sah sie ihn, Mary und Pipkin vor ihrer Abreise noch einmal. Abreise? Das ist widersinnig, Kate. Lady Walsh sprach von Exil .
»Ich wäre sehr dankbar, wenn ich meinen Bruder besuchen könnte, falls es Euch nicht zu viel Mühe macht. Selbst wenn … selbst wenn …«
»Es macht uns überhaupt keine Mühe. Könnt Ihr reiten?«
»Leider nein. Wir haben immer nur in London gelebt. Ich hatte wenig Gelegenheit …«
»Das spielt keine Rolle. Dann werde ich Euch eine Kutsche und einen Kutscher zur Verfügung stellen. Damit werdet Ihr zwar ein wenig länger unterwegs sein als zu Pferd, aber Ihr werdet es auch bequemer haben. Ich werde dafür sorgen, dass Lord Walsh sofort das Nötige veranlasst.«
Noch bevor Kate etwas einwenden konnte, hatte Lady Walsh auch schon den Keller verlassen. Kate stand allein zwischen den Eichenfässern. Sie beschriftete das letzte Fass mit weißer Kreide, dann verließ auch sie den Keller. Über ihren nächsten Schritt war offensichtlich bereits entschieden worden.
» Hey, nonnie, ho, nonnie … «, sang Mary Gough, während sie Wasser aus dem Brunnen schöpfte. Seit sie wieder bei ihren Eltern wohnte, war ihr heute das erste Mal nach Singen zumute. Es war ein wunderschöner Nachmittag, kühl und frisch. Und immer wieder kam die Sonne heraus und wärmte ihr Gesicht. Pipkin
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