Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
nicht anfasst.« Sie betonte das Wort »nicht«. Die Spindel war in letzter Zeit Anlass zu viel Ärger gewesen.
Nachdem sie den letzten Eimer in die Zisterne »gepatssst« hatten, setzte Mary das Kind ab. Sie streckte ihren schmerzenden Rücken durch und hielt ihr Gesicht in die spätnachmittägliche Brise, die sie allerdings, da die Sonne schon tief stand, etwas frösteln ließ. Sie nahm ihr Umschlagtuch ab und legte es dem Kind um die Schultern, zog den Jungen an sich und genoss die Wärme seines kleinen Körpers. Die lang gestreckten Federwolken, die sich hinter den Hügeln am Himmel drängten, schimmerten bereits im Licht der untergehenden Sonne. Sie wäre gern noch ein wenig hiergeblieben, um zuzusehen, wie die Wolken rosa, mauve und golden wurden, aber ihre Haushaltspflichten riefen.
John würde sicher bald zurückkommen. Wahrscheinlich war er in das kleine Pappelgehölz hinter der Schafweide gegangen. Sie ließ ihren Blick die Straße entlangwandern, sah jedoch nur eine vierspännige Kutsche, deren Wappen sie nicht kannte. Sie war überrascht, dass sich ein so vornehmes und stattliches Gespann in diese abgelegene Gegend verirrt hatte. Noch überraschter war sie, als der elegant livrierte Kutscher direkt vor dem Haus ihrer Eltern anhielt. Die Hühner rings um den kleinen Vorbau hörten auf zu picken und flatterten laut gackernd in einer Wolke aus Federn und Staub davon. Mary packte ihren Sohn am Arm, während sie mit der anderen Hand die Augen vor der tief stehenden Sonne abschirmte, um die Besucher besser sehen zu können. Vielleicht konnte sie sich durch die Küchentür ins Haus stehlen und das Zimmer erreichen, das sich ihre kleine Familie teilte, bevor die Ankömmlinge sie entdeckten. Sie ging weiter, Pipkin noch immer an der Hand haltend.
Dann hörte sie, wie jemand ihren Namen rief. Sie drehte sich um. Obwohl die Sonne sie blendete, konnte Mary die Neugier im Blick ihrer Schwägerin erkennen, als diese mit der Anmut einer Gutsherrin aus der Kutsche stieg.
Plötzlich war alles in seinen trostlosen Einzelheiten zu erkennen: die gackernden Hühner, der schlammige Pfad, der zum Vorbau des Bauernhauses führte, die Ochsen auf dem Feld und die Schafe, die sich in dem Pferch neben der baufälligen Scheune drängten. Wie schäbig musste das jemandem vorkommen, der all das zum ersten Mal sah. Aber es ist doch nur Kate, erinnerte sie sich jetzt. Es bestand also kein Grund, sich zu schämen. Immerhin waren Marys Eltern für Leute vom Lande ziemlich wohlhabend. Aber Kate hatte schon immer in der Stadt gelebt.
Ich sollte sie begrüßen, dachte sie, und sie als Johns Schwester auf dem Clapham-Hof willkommen heißen. Stattdessen stand sie wie angewurzelt da und wünschte sich, sie hätte eine andere Schürze umgebunden und Pipkin eine saubere Hose angezogen. Schließlich nahm ihr Pipkin die Entscheidung ab, indem er sich von ihrer Hand losriss und auf Kate zurannte. Ein fröhliches, vertrautes Lachen erklang, als Kate ihren Neffen in die Arme nahm und hochhob.
»Pipkin, ich hatte schon Angst, du könntest mich vergessen haben!«
Der Anblick ihres strahlenden Lächelns, der Klang ihrer Stimme erwärmte Marys Herz. Als sie eilig auf ihre Schwägerin zuging, um sie zu begrüßen, fiel ihr auf, dass sie keine Reisetasche dabeihatte.
Sie war erleichtert. Der häusliche Frieden in diesem Haushalt war ohnehin gefährdet. Er vertrug mit Sicherheit keine weitere Belastung.
»Wo ist John?«, fragte Kate, nachdem Mary sie ins Haus geführt hatte, um sie ihren Eltern vorzustellen, und sie zur Erfrischung einen Becher kalter Buttermilch getrunken hatte. Sie saßen allein in dem kleinen Zimmer, Mary mit Pipkin in dem Schaukelstuhl, den ihr Vater gedrechselt hatte, und Kate auf der Kante des Bettes.
»Er müsste bald kommen«, antwortete Mary. »Er wollte Holz schlagen. Wahrscheinlich lässt er sich Zeit. Es ist nicht leicht für ihn, jetzt da das Wetter schlechter wird, den ganzen Tag hier mit meinen Eltern eingesperrt zu sein.«
»Aber es geht euch gut, nicht wahr? Du siehst gesund aus, und Pipkin scheint glücklich zu sein.« Kate war durchaus nicht entgangen, wie klein das Anwesen war und wie armselig und traurig alles aussah. Sogar die Schafe, die in dem kleinen Gehege grasten, machten einen verlorenen Eindruck. Es fiel ihr schwer, sich ihren Bruder in dieser Umgebung vorzustellen. Sie versuchte sich ihre Besorgnis jedoch nicht anmerken zu lassen, als sie fragte: »Geht es John inzwischen wieder besser?«
Mary wandte
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