Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
Wichtigeres zu tun, als an einem Krankenlager zu sitzen.«
Mahelt beherrschte sich mühsam und sprach in einem gemäßigten Ton weiter.
»Ich weiß, wie beschäftigt Ihr seid, Sir, aber Ihr könnt vor oder nach dem Essen doch sicher eine Minute erübrigen. Der Countess würde es guttun, Euch zu sehen.«
Roger warf ihr aus seinen meergrauen Augen einen warnenden Blick zu.
»Willst du mir Vorschriften machen, Tochter?«
Mahelt grub die Nägel in die Handflächen.
»Nein, Vater. Ich bin ohne große Erwartungen zu Euch gekommen.«
Der Earl nestelte an der Krempe seines Hutes herum und zog ihn tiefer in die Stirn.
»Wenn sie im Fieberdelirium liegt, wird sie mich gar nicht erkennen.«
»Sie wird spüren, dass Ihr bei ihr seid, Sir, und ich denke, sie erkennt Euch.«
Er grunzte.
»Ich werde sehen, was sich machen lässt, aber ich kann nichts versprechen.«
Mahelt knickste erneut und ging. Sie hatte getan, was sie konnte, der Rest hing jetzt von seinem Gewissen ab. Seine Gleichgültigkeit hätte sie erzürnt, wenn sie nicht einen flüchtigen Moment lang einen unendlich traurigen und verlorenen Ausdruck in seinen Augen bemerkt hätte, ehe er sich den Hut noch tiefer ins Gesicht zog und sich wieder seiner Arbeit zuwandte.
Vor der Kammertür seiner Frau blieb Roger zögernd stehen. Zur Hölle mit diesem Mädchen! Er hatte Besseres zu tun, als
Krankenbesuche zu machen. Bislang hatte er sein Gewissen beruhigt, indem er sichergestellt hatte, dass Ida von ihren Frauen bestmöglich versorgt und von einem bekannten Arzt betreut wurde, überdies hatte er den Kaplan gebeten, ihr geistlichen Beistand zu leisten. Indem er sich auf indirekte Weise um ihr Wohlergehen kümmerte, hatte er es vermieden, sich zusätzlich zu all seinen anderen Problemen auch noch mit der Sorge um sie zu belasten. Aber jetzt hatte Mahelt den Schutzwall durchbrochen, den er um sich herum errichtet hatte.
»Ich habe keine Zeit«, murmelte er leise vor sich hin und erkannte im selben Moment, dass just diese Worte ihre Ehe seit mehr als dreißig Jahren langsam, aber stetig zerstörten.
Nachdem er tief Atem geholt hatte, öffnete er die Tür. Hugh blickte von seinem Platz neben dem Bett auf.
»Dein Quälgeist von Frau sagt, deine Mutter würde nach mir fragen«, grollte Roger, als er widerstrebend an Idas Krankenlager trat.
»Ich wollte dich benachrichtigen, aber Mahelt ist mir anscheinend zuvorgekommen«, erwiderte Hugh schuldbewusst. »Mutter schläft jetzt, sie fühlt sich nicht mehr ganz so heiß an.«
»Was wollte sie von mir?«
Hugh funkelte seinen Vater an.
»Nur dich«, versetzte er knapp.
Roger nahm ihm gegenüber auf einem Stuhl Platz und sah seine Frau zum ersten Mal seit Tagen bewusst an. Durch den Kampf gegen das Fieber war ihr Gesicht eingefallen, und es kam ihm so vor, als würde er auf das zarte Skelett eines Vogels herabblicken. Einst war sie ein fröhliches Rotkehlchen gewesen, eifrig damit beschäftigt, für all ihre Jungen zu sorgen. Jetzt wirkte sie so zerbrechlich. Und ihr Gefährte? Ihr Gefährte existierte nicht mehr, denn er war kein Rotkehlchen mehr, sondern
ein Adler. Er wappnete sich, nahm ihre Hand und registrierte voller Schreck, wie leicht und mager sie geworden war. Wie eine Klaue. Sie rührte sich und versuchte den Kopf zu heben.
»Ich bin hier«, flüsterte er. »Hier bei dir.«
Idas Augen blieben geschlossen, aber sie drückte seine Hand und hauchte seinen Namen. Nach einer Weile wurden ihre Atemzüge regelmäßiger, und zum ersten Mal seit dem Ausbruch ihrer Krankheit sank sie in einen tiefen, erholsamen Schlaf. »Ich komme wieder«, versprach er. »Wenn du wach bist.«
Er zwang sich, gemessenen Schrittes die Kammer zu verlassen, obwohl er am liebsten Hals über Kopf geflohen wäre. Im Gang lehnte er sich gegen die Wand, schloss die Augen und rang nach Atem. Hugh, der ihm gefolgt war, berührte ihn am Arm. »Vater?«
»Ich wusste nicht, dass es ihr so schlecht geht«, murmelte Roger benommen. »Sie war in der Vergangenheit oft krank, wenn sich eine Krise anbahnte, und ich dachte, das wäre zum Teil eine Selbstschutzmaßnahme … du weißt ja, wie sie sein kann.«
Hugh nickte, aber diesmal war die Situation eine andere. »Mahelt sagt, sie erholt sich langsam.«
Roger verzog das Gesicht.
»Ich werde für sie beten und Messen für sie lesen lassen.« Er wandte sich zur Treppe. Jeder Schritt, der ihn von Idas Kammer fortführte, nahm ihm eine kleine Last von den Schultern und erfüllte ihn gleichzeitig
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