Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
hätte mich ebenfalls schützend über ihn werfen sollen, aber ich war nicht stark genug.«
»Nein, du hast klug gehandelt.« Mahelts Stimme drohte zu versagen. »Die Kleinen brauchten dich. Wer hätte sich denn sonst um sie kümmern sollen, während ich in der Zelle saß?« Sie umarmte Hugo noch einmal, dann setzte sie ihn ab, bevor sie es nicht mehr über sich brachte, ihn loszulassen.
Ida schluckte.
»Ich musste Roger helfen, seine Truhe zu packen und musste dabei an die Zeit denken, als ich ein junges Mädchen am Hof war und vom König gezwungen wurde, meinen Sohn herzugeben … ich habe an jenem Tag auch gekämpft, aber vergebens. Könige siegen immer. Sie nehmen sich alles, was sie haben wollen.« Sie verstummte. Tränen schimmerten in ihren Augen.
Der Ritter Enguerard de Longueville erschien an der Tür und räusperte sich.
»Zeit zum Aufbruch, Mylady«, sagte er.
Mahelt nickte. Je eher sie diesen Ort verlassen konnte, desto besser. Es hielt sie nichts mehr hier. Sie musste nichts und niemanden mehr verteidigen. Alles war ihr genommen worden. Sie legte ihren Umhang um und kniete sich hin, um ihrem Sohn beim Zuknöpfen zu helfen.
»Mach den Umhang fest zu«, sagte sie. »Es ist kalt draußen.« Behutsam schlug sie seine Kapuze hoch, strich über seine gerötete Wange und versuchte nicht an Roger und daran zu denken, ob wohl jemand für ihn dasselbe tat.
Hugos hellblaue Augen musterten sie ernst.
»Wo gehen wir hin?«
»Nach London … zum Haus deines Großvaters.«
»Ist Pa-pa da?«
Mahelts Magen krampfte sich zusammen.
»Ich weiß es nicht.« Sie wollte hinzufügen, dass es sie auch nicht interessierte, aber das entsprach nicht der Wahrheit. Sie wurde von widersprüchlichen Gefühlen, hauptsächlich von Zorn und Schuldzuweisungen beherrscht.
Ida hatte nach der Stickerei gegriffen, an der sie in der letzten Zeit gearbeitet hatte und die noch nicht mit dem Rest ihrer Habseligkeiten eingepackt worden war.
»Das muss ich unbedingt mitnehmen«, sagte sie. »Dann ist es fertig, wenn wir zurückkehren. Wir müssen uns beschäftigen. Es gibt immer so viel zu tun. Wie sollen wir das alles je schaffen? Wie sollen wir all das, was zerrissen ist, wieder flicken?« Sie starrte ins Leere, schien den Faden zu verlieren.
»Vielleicht überhaupt nicht«, meinte Mahelt. »Manche Dinge kann man nicht flicken.«
Ihre Eskorte wartete im Hof. Für Ida, die Frauen und Kinder und Tripes, der zu alt war, um neben den Pferden herzulaufen, stand eine kleine Kutsche bereit, für Mahelt ihre schwarze Stute. Der Burghof wimmelte von fremden Rittern, Söldnern und Männern, die ihr nicht in die Augen zu sehen wagten. Lenveise glänzte durch Abwesenheit, doch John verfolgte das Geschehen von einem der oberen Fenster aus. Obwohl er kein Wort sagte, sonnte er sich in seinem Triumph.
»Wo ist Roger?«, quengelte Hugh, als Orlotia ihn in die
Kutsche setzte und in eine Decke hüllte. Seine Unterlippe war vorgeschoben und drohte zu zittern.
»Du siehst ihn in ein paar Tagen«, tröstete Mahelt ihn mit gepresster Stimme, auch wenn sie wusste, dass das wahrscheinlich eine Lüge war. »Er musste nach Norwich reisen.«
»Warum?«
»Weil der König es gesagt hat.«
»Warum?«
Weil der Himmel auf uns herabstürzt. Weil dieser König ein Tyrann ist. Weil dein Vater und dein Großvater zugelassen haben, dass dies ausgerechnet denen geschieht, die sie am stärksten hätten beschützen sollen.
»Weil man für alles einen Preis bezahlen muss«, erwiderte sie.
Ida griff ein und lenkte Hugo ab, indem sie ihm etwas Wolle gab, die er für sie aufwickeln sollte, und ihm eine unsinnige Geschichte erzählte. Als sie Framlingham verließen, konzentrierte sich Mahelt auf das Reiten und weigerte sich zu denken. Ihr war, als tobe um sie herum ein wilder Sturm, vor dem sie sich in sicheren Wänden verschanzt hatte. Irgendwann würde sie herauskommen und sich mit dem angerichteten Schaden befassen müssen, aber jetzt nicht, noch nicht. Vielleicht nie, solange sie auf dieser Erde wandelte.
41
London, März 1216
Gegen Ende des dritten Tages erreichten Mahelt und Ida das Haus der Bigods in der Friday Street. Seit dem Mittag fiel dichter Nieselregen, und es herrschte eine klamme Kälte. Ida hustete, ihre Wangen leuchteten rot. Hugo war müde und fröstelte, das Baby zahnte und hatte den ganzen Tag geweint. Mahelt war sich all dessen bewusst, betrachtete es aber aus der sicheren Distanz ihrer inneren Festung. Nichts würde eine Bresche in ihre
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