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Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft

Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft

Titel: Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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besonders regenreiche Jahreszeit ausnützen kann. In einer zweiten Entwicklungsphase reift das Getreide; dies ist nur auf einer offenen Fläche möglich, die von der vollen Sonne beschienen wird. Unter dem Schirm von Bäumen wird Getreide nicht reif. Geerntet werden kann es nur dann, wenn es völlig trocken ist; andernfalls lässt es sich nicht gut lagern, und die Körner lassen sich nicht aus den Spelzen herausholen.
    Wo die standörtlichen Bedingungen nicht von Natur aus so geartet waren, musste die Landschaft von Grund auf verändert werden, bevor man mit dem Ackerbau beginnen konnte. Bei derbesonders weit reichenden Ausbreitung des vorderasiatischen Ackerbaus bildeten sich zwei verschiedene Varianten eines Mensch-Umwelt-Verhältnisses heraus; das eine von ihnen baute auf dem bereits existierenden System auf, das andere unterschied sich grundsätzlich von dem vorher bestehenden System.
    An den großen Strömen des Orients, die in der Nachbarschaft der Bergländer liegen, in denen die Landwirtschaft entstanden war, wuchsen nur wenige Holzgewächse, was die Herrichtung von Land für den Ackerbau erleichterte. Aber die Niederschlagsmengen waren zu gering. Daher konnte dort Ackerbau nur etabliert werden, wenn es gelang, Flusswasser zur künstlichen Bewässerung auf die Felder zu lenken. Der dafür notwendige Aufwand war groß, denn man musste Kanäle bauen. Noch viel komplizierter war die Verteilung von Wasser entlang von Euphrat und Tigris, später auch an anderen Strömen wie dem Nil. Alle Flussanrainer wollten Anteil daran haben. Dieses Problem zu lösen war eine sehr große Herausforderung, denn der Euphrat als längerer der beiden Flüsse des Zweistromlandes ist weit über 2000 Kilometer lang, der Tigris nur wenig kürzer. Dennoch bestanden schon etwa 6000 Jahre vor Christi Geburt erste Bewässerungssysteme. [102] Je weiter sich der Bewässerungslandbau ausbreitete, desto notwendiger war die Entwicklung einer Infrastruktur, über die die Verteilung der Wassermengen überregional geregelt werden konnte. Dazu brauchte man eine Verwaltung und eine Übermittlung von schriftlichen Nachrichten. Darauf aufbauend entwickelte sich ein staatliches System, aus dem ein ganz anderer Typ von Landschaften hervorging; er wird im folgenden Kapitel dargestellt, weil er sich fundamental vom Landnutzungssystem des frühen Ackerbaus unterschied.
    Früher Ackerbau breitete sich auch nach Europa aus
(Abb. 12–1)
. Je weiter die Innovation nach Westen voranschritt, desto stärker musste die Umwelt verändert werden, damit Ackerbau möglich wurde: Wälder mussten beseitigt werden. Die Form der Landnutzung, die ausgehend von einer staatlichen Infrastruktur zur Ausbildung eines neuen Landschaftstyps führte, war mit dem System, das ohne Infrastruktur bestand, nicht kompatibel. BeideSysteme entwickelten sich in Vorderasien und Europa mehrere Jahrtausende lang weitgehend separat voneinander. Doch das mit Infrastruktur verbundene System von Landnutzung weitete sich im Lauf der Zeit ebenfalls nach Europa aus und erwies sich dort letztlich als das überlegene, obwohl die ohne Infrastruktur betriebene Landnutzung lange Zeit erfolgreich war.
    Abb. 12-1 Ausbreitung des Ackerbaus aus dem Nahen Osten nach Europa.
Frühe Ackerbausiedlungen in Europa
    Möglicherweise drangen Bauern etwa seit dem 7. Jahrtausend vor Chr. aus dem Orient in den Westen vor, um sich dort anzusiedeln. An den Lokalitäten, die für frühe Ackerbausiedlungen in Europa ausgewählt wurden, zeigt sich, dass diejenigen, die diese Siedlungenanlegten, sehr gute Geländekenntnisse hatten. Dies spricht dafür, dass Einheimische, die zuvor als Jäger und Sammler gelebt hatten, die Landwirtschaft als Wirtschaftsform aus dem Nahen Osten übernahmen. Ausgrabungsergebnisse zeigen, dass Einheimische offensichtlich wussten, wo es Böden gab, die sich mit den damaligen Bodenbaugeräten bewirtschaften ließen: Das verfügbare Gerät bestand ausschließlich aus Stein, Knochen und Holz. Metall stand noch nicht zur Verfügung; auch die frühen Ackerbaukulturen Europas werden wegen der ausschließlichen Verwendung von Stein als hartem Material noch der Steinzeit zugeordnet, dem Neolithikum (Jungsteinzeit). Mit Stein-, Knochen- oder Holzgeräten ließen sich nur steinfreie Böden bearbeiten. Solche Böden gab es in den kleinen Küstenebenen am Mittelmeer und in einem insgesamt ausgedehnten Gebiet mit Lößregionen in Mitteleuropa; dieses Gebiet war insgesamt größer als dasjenige, in dem

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