Die Entdeckung der Langsamkeit
und Krieg.
Auf dem Rückweg sah Gwendolyn mit einem Male ganz fremd aus, ihr
Gesicht so flächig, die Stirne breit, die Nasenlöcher so deutlich. Wieder
überlegte John, warum das menschliche Gesicht überhaupt so aussah und nicht
ganz anders.
Vom Schäfer in Spilsby hatte er auch gehört, daà die Frauen etwas
ganz anderes in der Welt wollten als die Männer.
Von der Kaimauer aus leuchtete Lissabon wie ein neues
Jerusalem. Dieser Hafen, das war wirklich die Welt! Dagegen war Hull am Humber
nur eine notdürftige Landestelle für verirrte Schaluppen. Schiffe gab es hier,
dreistöckig und mit goldenen Namen an den Kastellen. Durch solche kunstvollen
Schrägfenster wollte John einst als Kapitän auf den Horizont blicken.
Das eigene Schiff war klein. Aber es schwamm für sich allein wie
jedes andere, und es hatte einen Kapitän wie das gröÃte auch. Die Matrosen
kamen erst spät an Bord, von Einheimischen herangerudert. Einige hatten einen
solchen Rausch, daà sie per Flaschenzug über die Reling gehievt werden muÃten.
Der Vater hatte hie und da ein Glas zuviel getrunken, Stopford einige mehr,
aber was diese Seeleute sich antaten, muÃte noch anders heiÃen. Sie fielen in
die Kojen und tauchten erst wieder auf, als man die Anker lichtete. Zuvor
zeigte einer, nicht so betrunken wie die anderen, John seinen Rücken: kreuz und
quer war die braune Haut von weiÃen Striemennarben durchfurcht, wie Krater und
Klippen sah das aus, so viele Hautfetzen waren losgerissen und verkehrt wieder
angewachsen. Die Rückenbehaarung, ursprünglich gleichmäÃig dicht, hatte sich
der Landschaft angepaÃt und bildete Gehölze und Lichtungen.
Der Inhaber des Schauspiels sagte: »Das ist die Kriegsmarine. Für
jeden Dreck die Peitsche!« Ob man an einer solchen Strafe auch sterben konnte?
»Und ob!« sagte der Matrose.
John wuÃte jetzt: es gab noch Schlimmeres als Stürme. Ferner gab es
den Alkohol, auch da würde er mithalten müssen, das gehörte alles zur
Tapferkeit. Da wurde ihm schon ein Glas hingereicht: »Versuch mal! Das nennen
wir Wind.« Eine dünnflüssige, klebrige SoÃe, rot und giftig â John brachte mit
angestrengter Gelassenheit zwei Schlucke hinunter und horchte in sich hinein.
Er stellte fest, daà ihm vorher wohl etwas beklommen zumute gewesen war. Er
trank aus. Jetzt sah er die Sache anders.
Was er da an Geschichten über die Kriegsmarine hörte, galt gewiÃ
nicht für Tapfere.
Sie fuhren gut zweihundert Seemeilen nach Westen in den
Atlantik hinaus, um nicht gegen den portugiesischen Norder ankreuzen zu müssen.
AuÃerdem war es gut, den längs der Küste lauernden englischen Kriegsschiffen
auszuweichen, die ständig darauf erpicht waren, aus angeblich überbesetzten
Handelsschiffen ihre Mannschaft aufzufüllen. Einigen an Bord war es schon so
ergangen, sie waren gefangen worden wie wilde Tiere, hatten Gefechte mitmachen
müssen und waren bei der ersten Gelegenheit wieder davongelaufen. Sie haben
eben Angst gehabt, dachte John.
Zehn Tage noch, und sie waren wieder im englischen Kanal. John
durfte jetzt oft mit dem Kapitän essen, und der schenkte ihm obendrein
Weintrauben und Orangen. Von ihm erfuhr er auch, daà jedes Schiff eine
Höchstgeschwindigkeit hatte, über die es auch beim besten Wind nicht hinauskam,
und wenn tausend Segel gesetzt waren.
Die Arbeit auf dem Schiff beobachtete John sehr genau. Er lieà sich
auch beibringen, wie man Knoten machte. Er stellte einen Unterschied fest: beim
Ãben schien es mehr darauf anzukommen, wie schnell man einen Knoten fertig
hatte, bei der wirklichen Arbeit aber darauf, wie gut er hielt. John paÃte
genau auf, bei welchen Segelmanövern Schnelligkeit wirklich nötig war. Beim
Wenden war es klar: das Schiff verlor um so mehr Fahrt, je länger seine Segel
gegen den Wind standen, also muÃte man sich bei der Arbeit an den Brassen
beeilen. Es gab noch mehr solcher Situationen. John beschloÃ, sie im Lauf der
Zeit auswendig zu lernen wie einen Baum von unten.
Jetzt kam es nur auf den Vater an. Der muÃte an Kapitän Lawford
schreiben und dafür sorgen, daà es für seinen Sohn einen Platz als Volontär
gab. Daà er das tun würde, war nicht sehr wahrscheinlich. Es gab aber noch eine
zweite Möglichkeit: daà Matthew wieder auftauchte und John mitnahm.
John war wieder zu Hause. Matthew blieb weiterhin
Weitere Kostenlose Bücher