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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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etwas zum Hindurchwandern.
    Er ging zurück nach Ingoldmells und nahm die Postkutsche nach
Bolingbroke. Durchs Fenster sah er, wie die Hecken und Feldwege vorbeizuckten,
und dachte sich: Ihre Bewegung täuscht. Sie sind es, die hier gefangen liegen,
während nur ich und die fernen Berge wirklich auf der Reise sind.
    Dann fiel ihm Leutnant Pasley ein. Der hatte jetzt ein eigenes
Schiff. Und Walker kommandierte einen Vierundsiebziger. Um die Kanonen
beneidete er sie nicht, aber ums Fahren.
    Kapitän mußte er werden! Den Pol finden! Danach würde er sich wieder
um das Land kümmern, danach!
    Die englische Geschichte war Beesleys Sache, das Elend der Welt die
von Flora, und die Erfindung von Geräten gehörte zu Dr. Orme und seinen
Nachfolgern, aber nicht zu John. Und was Dr. Orme über den Schüler F.
geschrieben hatte, das wollte er erst lesen, wenn er zweiundachtzig Grad
nördlicher Breite erreicht hatte.
    Der Entschluß stand fest: er wollte es bei den Walfängern
versuchen. Er saß Flora gegenüber, streichelte ratlos ihre Knie und begann eine
wohlüberlegte Erklärung über die Menschenpflicht: »Wenn ich dem Herd des
Nachbarn Feuer bringen will, was nützt es, daß ich die Richtung weiß und
tüchtig marschiere. Meine Fackel muß auch richtig brennen. Was nützt es, wenn
eine Bewegung zwar stimmt, aber zu früh kommt?«
    Â»Laß nur«, meinte Flora, »mit Beispielen hast du es nicht so. Ich
bin nicht dieser Nachbar.«
    Sie sah ihn so unverwandt an wie beim ersten Mal, aber ihr Blick war
dunkel. John merkte, daß er im Augenblick so dumm war wie sein Vorgänger, der
Prediger. Lag es vielleicht an Flora? »Es kann doch sein, daß die Sache mit dem
Eismeer Unsinn ist und daß ich bald zurückkomme …« John merkte, daß er log.
    Sie schwieg. Dieses Schweigen. Eine Tyrannin war sie geworden.
    Â»Vielleicht siehst du mich bald wieder. Ich komme zurück und werde
Redakteur.« Das Lügen wurde ihm immer lästiger.
    Â»Und die Fackel brennt dann?«
    Â»Möglich. Ach nein, es ist Unsinn. Ich weiß das alles nicht.«
    Flora putzte sich die Nase.
    Â»Du bist kein Redakteur. Gott segne dich!«
    Sie küßte ihn. Dann ging er. Himmel, was war er froh, daß er sie los
war! Vor Freude fühlte er nicht einmal Mitleid.
    Als er nach Hause kam, um sich von Vater und Schwester zu
verabschieden, stand vor der Tür eine fremde Kutsche. Aus ihr stieg ein
Gentleman namens Roget, Peter Mark Roget. Er überbrachte Grüße von Dr. Brown
aus London.
    Â»Ich habe übrigens diese Schrift über den Bilderwälzer gelesen. Es
ist schade, daß der Autor schon gestorben ist. Ich interessiere mich für optische
Phänomene sehr, Sie sollten einmal mein Kaleidoskop sehen. Ich hoffe, wir
können uns demnächst unterhalten.«
    Â»Nein«, antwortete John. »Ich habe mich entschieden. Es gibt viele
wichtige Ideen, aber ich folge meinem eigenen Kopf.«
    Mr. Rogets Miene bekam mit einem Mal etwas Spähendes.
    Â»Sie werden in England bleiben?«
    Â»Nein. Ich werde wieder zur See fahren. Irgendwann will ich sogar
den Nordpol erreichen. Das gelingt mir aber nicht, wenn ich in England bleibe.«
    Â»Dann nehme ich allerdings an, daß wir uns doch bald unterhalten
werden.« Mr. Roget begann sich sichtlich zu amüsieren. »Der Präsident der Royal
Society hat mich zu Ihnen geschickt, Sir Joseph Banks – er ist zur Zeit drüben
auf seinem Landsitz in Revesby. Wollen Sie mich vielleicht zu ihm begleiten?«
    John schwieg verdutzt und begann zu ahnen.
    Â»Er kennt Sie, er hat gelesen, was Sie über den Kompaß von Flinders
geschrieben haben. Er und Sir John Barrow, der erste Sekretär der Admiralität …«
    Â»Worum geht es?« fragte John heiser.
    Mr. Roget zögerte.
    Â»Eigentlich wollte Sir Joseph Ihnen das selbst sagen. Sie – werden
in Deptford ein Schiff übernehmen und zum Nordpol fahren!«

Zwölftes Kapitel
    Die Reise ins Eis
    Die Expedition. Jeder in Deptford wußte, was damit gemeint
war. Sie bestand aus den kupfergepanzerten Briggs Dorothea und Trent und wurde zur Zeit mit allem beladen, was
man am Nordpol brauchte.
    Â»Vor allem mit Felljacken und Pelzmänteln«, hofften die Kürschner.
    Â»Mit spannenden Büchern«, sagte ein Buchhändler, »denn dort ist es
sehr langweilig.«
    Â»Mit verwegenen Männern«,

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