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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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Dank!« Was ich befürchtet habe,
dachte John. Erst liebt er mich, dann haßt er mich. Da gab es keine Grenze
zwischen angemessenen und unangemessenen Gefühlen, es war traurig und
gefährlich. Aber zeichnen konnte er! Grünstrumpf saß ihm für ein Porträt
Modell, und er malte ein so gutes Bild, daß Keskarrah ganz besorgt wurde: »Es
ist zu schön. Wenn der große weiße Häuptling es sieht, wird er nach ihr selbst
verlangen!«
    Ãœber Wentzel sagte Back: »Das ist ja nun wirklich ein
Deutscher! Überall in der Welt sieht man sie stehen und darüber nachgrübeln,
warum sie sich nicht bewegen können wie die anderen. Und meist versuchen sie zu
beweisen, daß das nur in ihrer Klugheit begründet ist, und fangen an, die
Menschheit zu belehren!«
    John ging schon lange nicht mehr auf jede Bemerkung Backs ein – sein
heimlicher Erster hieß jetzt Hepburn. Aber diesmal antwortete er: »Es ist das
Problem der Langsamkeit, Mr. Back! Und Wentzel weiß wirklich einiges.«
    An einem See, den die Indianer Wintersee nannten, blieben
die Reisenden einige Tage, bauten eine Blockhütte als Stützpunkt für eine
etwaige Rückreise auf diesem Weg und versorgten sich mit Wild, um es für die
lange Fahrt auf dem Kupferminenfluß einzusalzen oder auch Pemmikan daraus zu
machen. Die Nachtfröste wurden strenger. Eines Morgens erklärte Akaitcho, er
sei dagegen, in dieser Saison noch weiter nach Norden zu fahren. »Die weißen
Häuptlinge mögen es tun, und einige meiner jungen Krieger werden sie begleiten,
damit sie nicht allein sterben müssen. Aber sobald sie in die Kanus gestiegen
sind, wird mein Volk alle als Tote beweinen.« John wies vorsichtig auf den
Unterschied zwischen diesen Worten und jenen anderen hin, die der Häuptling in
Fort Providence gesprochen hatte. Akaitcho entgegnete mit Würde: »Ich esse
meine Worte. Es waren Worte für Sommer und Herbst, jetzt aber wird es Winter.«
    Back schäumte über die »wortbrüchigen Wilden«. Sogar Richardson
begann wieder von der christlichen Kultur zu reden, die diesen Primitiven so
not tue. John hätte gern noch den Kupferminenfluß und vielleicht sogar das Meer
erreicht, aber er dachte eine Nacht lang nach, bevor er irgend etwas sagte.
    Am Morgen wußte er, daß Akaitcho recht hatte, wenn er in einem so
wild- und holzarmen Gebiet eine Katastrophe befürchtete. Dort oben waren auch
schon Indianer verhungert und erfroren – Wentzel berichtete vom Tod ganzer
Lager.
    John erklärte dem Häuptling, er sei froh über seinen
freundschaftlichen und weisen Rat. Man werde hier überwintern. Akaitcho
verneigte sich zufrieden, als habe er nichts anderes erwartet. Er war aber doch
sehr glücklich darüber, daß John einlenkte, er wurde geradezu redselig vor
Freude. John erfuhr, daß er bei den Indianern große Achtung genoß, weil er so
oft mit den Geistern der Verstorbenen spreche. Sie hatten ihn beobachtet, wenn
er beim Nachdenken scheinbar grundlos lachte und die Lippen bewegte.
    Die Blockhütte erhielt den Namen Fort Enterprise. Sie würde ihr
Zuhause für mindestens acht Monate bleiben, soviel war sicher.
    Und die Offiziere wußten nun endlich, warum die Indianer den See
schon vor vier Tagen Wintersee genannt hatten.
    Back fing an, absichtsvoll grob und frech um Grünstrumpf
zu werben. Er wollte offenbar schon wieder etwas beweisen. Hood war inzwischen
erst so weit, daß er ab und zu ihre Hand hielt und ihr in die Augen blickte,
und er ließ sich auch von Back nicht zu einem schnelleren Tempo nötigen. John
vermutete, daß es zwischen Hood und Back ein Gespräch gegeben hatte, aber wenn,
dann ohne Erfolg. Back ließ nicht davon ab, Grünstrumpf anzufassen, um ihr zu
zeigen, welchen Details seine Komplimente galten. Manchmal brachte er sie zum
Lachen, aber John war fast sicher, daß sie Back eher verabscheute.
    Eines Abends meldete Hepburn ihm, die Herren Back und Hood hätten
ein Duell im Morgengrauen vereinbart. Darüber gab es nichts zu lachen. John zweifelte
nicht an Hoods Ernst, und Back war eingebildet genug, die Sache auf die Spitze
zu treiben. John befahl Hepburn, während der Hundewache die Zündlöcher in den
Pistolen der Gentlemen mit Pemmikan zu verstopfen. Dann sprach er mit jedem von
ihnen einzeln – sie gelobten Vernunft. Hepburn führte den Befehl trotzdem aus,
und mit Erfolg: mindestens ein

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