Die Entdeckung des Himmels
Kästen voller Schrauben, Muttern, Stifte und sonstigem Kleinkram. Neben der Tür gab es einen schweren Tisch mit einer Drehbank, Bohr- und Schleifmaschinen.
Wenn Quinten da war, begleitete Keller seine Arbeit meistens mit einem halb gemurmelten, fast tonlosen Kommentar; er erklärte nichts, sondern gab einfach einen Bericht von dem, was er tat und dachte. Nur selten, zum Beispiel, als er sich mit einem schweren Vorhängeschloß aus dem Mittelalter abmühte, das so groß war wie ein Laib Brot und dem der Schlüssel fehlte, schlichen sich lyrische Töne in seine Reportage.
»Jetzt sieh dir das an, ist das nicht ein Engel? Das hier nennen wir ein Schiebehängeschloß. Siehst du hier die Rillen, die aussehen wie ein H? Da muß der Steckschlüssel hinein. Den werde ich gleich machen. Im Innern befindet sich eine Sperre aus starken Federn, die jetzt entspannt sind und den Bügel im Schloßgehäuse verriegeln.«
»Woher wissen Sie das? Haben Sie hineingeschaut?«
»Nein, und das werde ich auch nicht tun. Zumindest jetzt nicht. Ich werde nämlich zuerst etwas ganz anderes tun.« Aus einer der Vorratskisten suchte er einige lange Stahlstifte zusammen, die in das H hineinpaßten. An seinem Arbeitstisch ölte er sie ein und schob sie langsam hinein, während sein Blick zur Decke ging, als sei dort das Innere des Schlosses zu sehen. »Ja, jetzt spüre ich die erste Krümmung der Federblätter – ja – genau, ja – noch etwas weiter – jetzt werden sie zusammengedrückt – ja. Es geht schwer, alles verrostet da drinnen –, vielleicht vorsichtig mit dem Niethammer ein wenig nachhelfen. Und jetzt noch ein paar leichte Schläge, und jetzt noch einen, dann muß es reichen –« Im Innern erklang ein Klicken, und er zog den Bügel aus dem Gehäuse.
Lachend sah er Quinten an.
»Ja, Kuku, so geht das. Ich könnte meine Brötchen auch einfacher verdienen. Aber: Du sollst nicht stehlen. Frag die Domina.«
Er zog die Stifte heraus und schob den Bügel wieder zu, was ein erneutes Klicken verursachte.
»Was machen Sie denn jetzt? Jetzt ist es wieder zu!«
Er legte das Schloß vor Quinten hin.
»Mit normalen Schlössern kommst du schon einigermaßen zurecht, aber jetzt probierst du’s mal mit dem. Vielleicht willst du ja mein Nachfolger werden, meine Jungs haben damit nichts am Hut.«
Die Domina hieß Frau Trip, war Predigerin der reformierten Gemeinde in Hooghalen, ledig und wohnte zwanzig Meter weiter mit ihrer schwarzen Katze im ehemaligen Gärtnerhaus, an das ein großer Wintergarten angebaut war. Mit den anderen Bewohnern von Groot Rechteren hatte sie wenig Kontakt, nur die Verloren van Themaats kamen manchmal zum Tee; sie war eine Freundin der Baronin. Obwohl sie nicht älter war als Sophia, war ihr Haar so weiß wie Kerzenwachs. Wenn sie auf der Terrasse saß und las, Karl Barth oder irgendeinen schönen Roman, oder sich um die Blumen im Garten kümmerte, der zu einem Seitenarm des Schloßgrabens hin abfiel, blieb Quinten manchmal kurz stehen, um ihr vom Zaun aus zuzuschauen. Dann nickte sie ihm freundlich zu, winkte aber nie, was ihn nicht weiter bekümmerte. Sie mußte entsetzlich viel wissen, möglicherweise fast so viel wie sein Vater, denn wenn jemand keine Antwort mehr wußte, hieß es immer: »Frag die Domina.« Es ging dann meistens um Gott oder um Jesus, aber er fragte sie nie. Meistens rannte er gleich weiter zur Brücke.
Sophia hatte ihm verboten, über die Brücke zu gehen; es war eine hochromantische, morsche, wackelige Konstruktion, in der einige Bretter fehlten, und Max fühlte sich durch sie jedesmal an ein Lied von Schubert erinnert: Leise flehen meine Lieder durch die Nacht zu dir. Auf der anderen Seite, im Schatten der hohen Buchen, lag die Orangerie, wo Seerp Verdonkschot mit seinem Freund wohnte. Aber er wohnte nicht nur dort, sondern er hatte in dem niedrigen, langen Gebäude mit den großen Fenstern auch ein Heimatmuseum eingerichtet.
Es war fast nie ein Besucher da, wenn Quinten hineinging.
Auch Verdonkschot selbst war die meiste Zeit nicht da, denn er hatte eine Stelle bei der Post und war ein mürrischer Mann, der in Max’ Augen verbittert war, weil er wissenschaftlich nicht ernstgenommen wurde, weder von der Universität Groningen noch vom Provinzmuseum in Assen. Vielleicht, weil er seine Sammelstücke manchmal auch verkaufte.
Aber sein Freund Etienne, ein zur Korpulenz neigender, etwa vierzigjähriger Mann, sah jedesmal kurz herein und sagte:
»Hallo, Schönchen, bist du wieder da?
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