Die Entfuehrung
muss mich nach einem Schiff erkundigen, das heute Abend noch nach Souris fährt, damit ich diese beiden der Obhut des Kapitäns anvertrauen kann. Ich weiß, dass sie böse sind«, sie schüttelte betrübt den Kopf, »aber sie sind ja noch Kinder. Ich finde, das Beste ist, sie wieder nach Hause zu bringen.«
Julius zog die Augenbrauen hoch und sah Augustus an, der ihm zunickte. »Der Keller«, sagten beide gleichzeitig.
Augustus begann Alex zur Theke zu schleppen und Julius packte Alice beim Arm und folgte ihm.
»Was ist mit unserem Rucksack?«, protestierte Alice.
»Der bleibt hier«, fuhr Julius sie an.
Hinter der Theke befand sich eine Falltür, die Augustus aufklappte. Darunter war eine Treppe, die ins Dunkel führte. Julius schubste sie und Alice stolperte hinter ihrem Bruder die Stufen hinunter. Die Falltür wurde über ihnen zugeschlagen und sie waren allein.
Alice stand in der pechschwarzen Dunkelheit und der Geruch nach kaltem Stein drang ihr in die Nase. Sie fühlte sich nicht nur hilflos, sondern auch hoffnungslos. Sie konnte nicht mal ihren Bruder sehen. »Alex?«
»Hier«, sagte eine Stimme rechts von ihr. »Aua!«
»Was ist los?«, fragte Alice besorgt.
»Ich habe mich gerade an etwas gestoßen.« Alice hörte es klopfen, dann sagte Alex: »An dieser Wand stehen nur leere, aufgestapelte Kisten.«
»Was machst du eigentlich?«, fragte Alice.
»Nach einem anderen Eingang suchen«, erwiderte Alex ungeduldig. »Komm, hilf mir mal.«
»Supervorschlag.« Alice streckte die Arme aus und machte einen vorsichtigen Schritt. Dann noch einen und noch einen und noch einen und – »Autsch!«, sie hatte sich die Finger am rauen Stein der hinteren Kellerwand aufgeschürft. Vorsichtig tastete sie sich daran entlang, erst in die linke Ecke, dann in die rechte. »Nichts«, sagte sie. »Nur Mauerwerk.«
Alex, der sich an der gegenüberliegenden Wand unter der hölzernen Treppe entlanggetastet hatte, sagte: »Hier sind nur ein oder zwei leere Fässer. Aber keine Tür.« Er seufzte schwer.
Alice ließ sich auf den Lehmboden sinken und stützte den Kopf in die Hände. »Warum haben wir nur jemals Smiggins verlassen?«, schluchzte sie. »Onkel Ebenezer hat recht gehabt: Es ist zu gefährlich. Jetzt werden wir Alistair nie wiedersehen und erfahren nicht mal, was mit ihm geschehen ist. Und Onkel Ebenezer und Tante Beezer werden nie erfahren, was aus uns geworden ist ...«
Alex kam an ihre Seite. »Komm schon, Schwesterherz. Brich mir jetzt bitte nicht zusammen. Schließlich sind wir noch nicht tot, oder? Und solange wir am Leben sind, haben wir noch eine Chance.«
Alice richtete sich auf und wischte sich mit den Händen die Augen. »Du hast ja recht«, schniefte sie. »Vielleicht bringen sie uns wirklich auf ein Schiff. Wir könnten über Bord springen – wir können doch beide gut schwimmen.«
»Das ist die richtige Einstellung«, sagte Alex.
Sie vertrieben sich die Zeit damit, sich an einige der gewagtesten Eskapaden ihres Onkels zu erinnern und sich vorzustellen, sie würden ein paar seiner gefährlichsten Heldentaten vollbringen.
»Wir könnten auf einen Baum klettern«, sagte Alex.
»Und wenn sie uns folgen würden, könnten wir mit einem Salto herunterspringen«, sagte Alice. Es ging ihr schon wieder besser. Was hatte Tante Beezer gesagt? Sie waren tapfer und findig und tüchtig, genau. Tja, wenn es jemals nötig war, tapfer, findig und tüchtig zu sein, dann jetzt!
Sie tastete im Dunkeln nach der Hand ihres Bruders und drückte sie. »Danke, Alex«, sagte sie.
Alex erwiderte das Drücken kurz, dann riss er die Hand zurück. »Natürlich ist es einfach, mit einem Salto aus einem Baum zu springen«, sagte er. »Falls man nicht eine andere Maus am Schwanz halten muss.«
Sie kicherten vor sich hin, da wurde die Falltür plötzlich aufgerissen, und Licht ergoss sich die Treppe herab. Es gab einen heftigen Wortwechsel, und Alice hörte, wie Horatius sagte: »Bitte zwing mich nicht, da hinunterzugehen, Sophia. Ich mag keine Keller«, und Sophia antwortete: »Schon gut, Horatius – anscheinend muss ich alles selber machen.«
Blinzelnd spähte Alice die Stufen zu der Gestalt hinauf, die sich gegen das helle Licht abhob.
»Wie schön, dass ihr Spaß zu haben scheint«, sagte Sophia. Als sich Alices Augen an das Licht gewöhnt hatten, sah sie, dass Sophia bissig dreinschaute. »Ihr nutzt die Zeit wohl, solange es noch geht, was?«
Alice spürte, wir ihre ganze Zuversicht versickerte und sie wieder verzagt
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