Die Entführung der Musik
Jon-Toms Begeisterung ein wenig gedämpft, und so beugte er sich zum Otter nieder, um sein Gesicht genauer ins Auge zu fassen. »Mudge, was ist los mit dir?«
»Ähhh? Alees ogay, Gumpel.« Lose baumelte ihm der Bogen von der Hand herunter.
»Los, los, ihr alle!« Jon-Tom zeigte auf den betäubt daliegenden Wächter. »Seht ihr nicht, daß der Banngesang gelungen ist? Er kann uns nichts tun, auch wenn ich nicht weiß, wie lange es wirkt. Laßt uns gehen.« Er schaute sie verwirrt an. »Was ist eigentlich mit euch allen los?«
In kollektiver Benommenheit taumelten die Mungos herum. Heke und Pauko waren in einem wirren Menuett gefangen; jeder bemühte sich erfolglos, am anderen vorbei zu kommen, doch bei jedem Ver- such rannten sie ineinander. Der verwirrte Karaukul war völlig in die Betrachtung seiner Finger versenkt, als hinterfrage er nicht nur deren Existenz, sondern auch ihren Ursprung. Sogar Naike schlug sanft, aber beharrlich mit dem Kopf gegen das Tor hinter ihnen und wollte sich hindurchkämpfen, bewirkte aber nichts weiter als eine unkleidsame Scharte im Pelz seiner Stirn.
Es blieb dem aufgeregten Jon-Tom überlassen, sie einen nach dem anderen unter gutem Zureden an dem Wächter vorbeizugeleiten, der etwas vor sich hinbrummelte, während ihm dickflüssiger Speichel aus dem Mund sabberte.
Sie kamen in eine geräumige Rundhalle, die für gelegentliche Un- terhaltungsveranstaltungen ausgestattet war, und dort suchte der Bannsänger so lange, bis er den erhofften Wandhebel gefunden hatte. Er legte ihn um, und zwischen ihnen und dem benommenen Elefanten schloß sich ein Duplikat des ersten Tors. Jon-Tom hoffte, daß das Hindernis kräftig genug war, den Wächter, der sie so gern zertrampelt hätte, in dem jetzt abgeschnittenen Korridor festzuhalten.
Er wußte nicht, wie lange der Bann wirkte. Wenn er verging, würde der wütende Elefant garantiert den ganzen Haushalt aufwecken. Dann mußten sie die Prinzessin schon gefunden und befreit haben und in die Sicherheit des alle Spuren verwischenden Sumpfs zurückgekehrt sein.
Doch zuerst mußte er die umhertorkelnden Mungos und Mudge um sich versammeln und ein Gegenmittel gegen den vorangegangenen Banngesang zusammenreimen. Dadurch ging eine beträchtliche Span- ne ihrer kostbaren Zeit verloren, doch er hatte keine Wahl. Schließlich waren der Otter und die Soldaten wieder in ihrem normalen Zustand.
»Welche hintertriebene Zauberei war das?« Naike fühlte nach der Stelle an der Stirn, die er immer wieder gegen das erste Hindernis ge- schlagen hatte. »Was hast du mit uns angestellt?«
»Es war nur für den Wächter gedacht. Eine Wirkung auf euch war nicht beabsichtigt.« Etwas schuldbewußt schielte er nach Mudge.
»Manchmal wirken meine Banngesänge in mehr Richtungen, als mir lieb ist.«
»Manchmal, zum Teufel!« Der Otter hatte als einziger verstanden, was eigentlich geschehen war.
»Es war eine gute Idee.«
»Deine Ideen sind oft gut, Kumpel. Nur die Ausführung läßt manchmal zu wünschen übrig.«
»Ich habe nur getan, was du vorgeschlagen hattest.«
Der Otter runzelte unsicher die Stirn. »Was ich vorgeschlagen hat- te?«
»Du sagtest, ich solle etwas Dummes singen.«
Mudge schlug beide Hände vors Gesicht und wandte sich hilfesu- chend den vier Soldaten zu. »Seht ihr? Seht ihr, was ich in den letzten zwanzig Jahren durchmachen mußte? Seid froh, daß er uns nicht in Frischlinge verwandelt hat. Oder schlimmer noch: in Altlinge.«
»Von einer solchen Zauberei habe ich noch nie gehört, das ist si- cher«, gab der Leutnant zu.
»Aber sie ist wirkungsvoll«, fügte der mürrische Karaukul hinzu.
Jon-Tom war ein wenig verstimmt. »Das einzige, was zählt, ist die Tatsache, daß wir heil geblieben und an dem Wächter vorbei sind.« Heke schaute unbehaglich zu dem Holztor hinüber. »Wie lange wohl?«
»Ich weiß es nicht. Laßt uns eure Prinzessin suchen und von hier verschwinden.«
Naike schnüffelte mit hocherhobener Nase in dem Raum herum.
»Ich glaube, ich erkenne ihren Geruch in diesem Raum, auch wenn er von dem anderer Individuen fast überdeckt ist.«
»Solange nur keines davon nach Elefant riecht.« Mudge untersuchte die Luft mit den eigenen Nüstern. In Begleitung solch geruchsemp- findlicher Gefährten hatte es wenig Sinn, daß auch Jon-Tom es mit dem Herumschnüffeln versuchte.
Sie verteilten sich in der Rundhalle, um dem Geruch nachzuspüren, und allmählich kamen sie überein, daß er sich in einem engeren Kor- ridor
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