Die Entlarvung
deshalb verstehen wir uns auch so gut. Ich mag Mädchen, aber meine Probleme bespreche ich mit ihnen nicht. Sie sind einfach zu dumm. Trinken Sie doch noch einen Kaffee. Ich nehme einen Brandy dazu. Sie auch?«
»Ja, gern«, antwortete Gloria. »Mit Daddy trinke ich nach dem Essen oft ein Glas. Wir sitzen zusammen und unterhalten uns. Meine Mutter ist dann meistens schon im Bett.« Sie lächelte unvermutet. »Sie ist furchtbar einfältig. Daddy bespricht nie etwas mit ihr.«
»Dafür ist sie schön«, warf Leo ein. »Man kann nicht alles haben.«
»Sie spielt gerne die Wohltäterin«, sagte Gloria. »Sie sitzt in unzähligen Vereinen, organisiert irgendwelche Veranstaltungen und rennt der königlichen Familie hinterher. Für sie ist es natürlich das Größte, wenn Daddy seinen Lord-Titel erhält.«
Leo nippte an seinem Brandy und sagte leichthin: »Davon weiß ich ja gar nichts. Steht er auf der Neujahrsliste?« Bei der bloßen Vorstellung begann er innerlich zu kochen.
»Nein, wahrscheinlich kommt er auf die Geburtstagsliste. Er wird den Titel bekommen. Er bekommt alles, was er will. Er hat sein Herz daran gehängt. Ich glaube, er ärgert sich, daß Leute wie Western früher berücksichtigt worden sind als er. Er haßt es, übergangen zu werden.« Sie kicherte. »Manchmal ziehe ich ihn damit auf.«
»Und Sie wären dann die ehrenwerte Gloria King«, bemerkte Leo. »Klingt gut, nicht wahr? Und paßt zu Ihnen.« Er lächelte. »Ich habe den heutigen Abend sehr genossen. Ich liebe das Theater, aber keine meiner Freundinnen hätte mit der heutigen Aufführung etwas anfangen können. Wissen Sie, warum ich Sie dazu aufgefordert habe?« Gloria schüttelte den Kopf. Ihre Diamantohrringe versprühten glitzernde Funken.
»Weil Sie mir während der Wochenendgesellschaft Ihres Vaters verraten haben, daß Sie das Theater auch sehr mögen.«
»Ich gehe außerdem gern in die Oper«, fügte Gloria beiläufig hinzu. »Ich bin sehr musikalisch.«
»Damit kann ich weniger dienen«, gestand Leo. »Ich bevorzuge Ballett. Was halten Sie davon?«
»Nichts«, erwiderte sie kurz. »Dieses alberne Herumgehüpfe. Nein, ich liebe die italienische Oper. Nächste Woche wird im Covent Garden Verdi aufgeführt.«
»Warum gehen wir beide dann nicht hin?« schlug er vor. »Vielleicht lasse ich mich ja bekehren.«
»Es gibt keine Karten mehr. Sie sind schon seit Wochen ausverkauft. Wahrscheinlich, weil Pavarotti singt.«
Leo Derwent winkte nach dem Kellner, um die Rechnung zu verlangen. »Wenn ich zwei Karten ergattere, begleiten Sie mich dann?«
Gloria entblößte ihre großen, kräftigen Zähne. Dir Lächeln war spöttisch, aber nicht unfreundlich. »Ich würde auf der Stelle mitkommen. Daddy dürfte ich allerdings nicht davon erzählen. Ihm ist es nämlich nicht gelungen, noch Karten aufzutreiben.« Sie kicherte erneut.
»Das wäre also abgemacht«, sagte Leo. Er fuhr sie nach Hause. Während des ganzen Abends hatte er nicht einen Versuch unternommen, sich ihr zu nähern. Der Gedanke, sie zu berühren, stieß ihn ab. Außerdem wäre es ein Fehler gewesen. Sie war zu Körperkontakt nicht bereit. Noch nicht. Er begleitete sie bis zur Haustür und schüttelte ihr seriös die Hand.
»Gute Nacht, Gloria. Es war ein schöner Abend. Ich rufe Sie noch an wegen der Oper.«
»Sie werden keine Karten bekommen«, rief sie.
»Was ich mir in den Kopf gesetzt habe, bekomme ich auch«, gab er zurück. »Ganz wie Ihr Vater. Gute Nacht.«
Sie ging ins Haus und schloß die Tür hinter sich. Sie hatte ihm nicht gedankt. Es fiel ihr schwer, sich bei anderen zu bedanken. Ihr Vater tat es auch nie. Für ihn war es ein Zeichen von Schwäche. Leo würde keine Karten für die Oper auftreiben. Was ihrem Vater nicht gelungen war, schaffte auch kein anderer.
»So ein Mist«, schimpfte Julia. »Sie sind verreist. Für zehn Tage nach Frankreich. Ich habe mit der Zugehfrau gesprochen.« Stirnrunzelnd betrachtete sie Ben Harris. »Anfang nächster Woche sollte es eigentlich losgehen.«
Ihre Verwandten, die Petersons, lebten auf Jersey. Julia hatte geplant, sich für eine Woche bei ihnen einzuquartieren. Das Ehepaar sollte ihr nicht nur als Tarnung dienen. Sie hoffte vielmehr, über die beiden auch die notwendigen Kontakte herzustellen. Es half alles nichts. Sie würde auf die Rückkehr der beiden warten und einen späteren Termin mit ihnen vereinbaren müssen.
»Hör auf, dir den Kopf zu zerbrechen«, mahnte Ben. »In den nächsten zwei Wochen wird schon
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