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Die Entlarvung

Titel: Die Entlarvung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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war.
    Eines Tages bat er sie in sein Büro. Sie hatte sich verändert, war nun viel reifer und selbstsicherer. Sie nannte ihn Ben, seit er sie einmal angeherrscht hatte: »Lassen Sie doch dieses ewige Mr. Harris, um Gottes willen. Das geht mir auf die Nerven!«
    »Wie kommen Sie voran, J.?« erkundigte er sich.
    Er hatte nie ein Lächeln übrig, bemerkte Julia. Selbst wenn er jemandem ein Kompliment machte, verzog er dabei das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Gut, denke ich. Ich habe in letzter Zeit viel zu tun gehabt. Hoffentlich sind Sie zufrieden mit mir.«
    »Ich würde Sie es wissen lassen, wenn nicht«, entgegnete er und legte seine schwere Brille auf dem Tisch ab. »Ich hatte nicht geglaubt, daß Sie es schaffen würden.«
    »Ich weiß«, antwortete Julia leise. »Um so entschlossener war ich, Ihnen das Gegenteil zu beweisen.« Er sah flüchtig zu ihr auf und sagte widerstrebend: »Sie machen Ihre Sache gut. Überstürzen Sie nur nichts, das ist alles.«
    Julia lächelte. »Keine Sorge, das würden Sie sowieso nicht zulassen.«
    »Völlig richtig«, stimmte er zu. »Und jetzt muß ich weiterarbeiten, auch wenn Sie nichts zu tun haben.«
    Julia war seit neun Monaten in der Redaktion, als William Western seine Bombe platzen ließ. Eine sensationelle Story hatte sich gerade aufgetan. Die mißbrauchten und verstümmelten Körper zweier fünfjähriger Zwillingsmädchen waren in einem Waldstück unweit von einem walisischen Dorf gefunden worden.
    Es sah ganz danach aus, als handelte es sich um zwei der grauenhaftesten Sexmorde seit der Moors-Verbrechen vor dreißig Jahren.
    Als Ben Harris die Direktive von oben erhielt, traute er seinen Augen kaum: Ich möchte, daß Julia Hamilton die Sache übernimmt. Sie soll zeigen, was in ihr steckt. Western. Ben schleuderte die Notiz auf seinen Schreibtisch und stieß einen Fluch aus. Ihm war es egal, ob ihn jemand hörte. Eine unerfahrene junge Frau auf einen ungeheuerlichen Mordfall wie diesen anzusetzen – Western mußte den Verstand verloren haben.
    Er riß seine Bürotür auf und rief in das Tollhaus, das sich Nachrichtenredaktion nannte: »J. Hamilton soll sofort zu mir kommen!« Dann verschwand er wieder in seinem Büro und schlug die Tür hinter sich zu. Davis, der Julia in der Zwischenzeit ein guter Freund geworden war, hob die Augenbrauen und schnitt eine Grimasse. »Der schreit sich direkt die Kehle nach dir aus. Laß dir von ihm nichts gefallen, Julia – nur so hast du eine Chance. Wenn er dich feuert, legen wir alle die Arbeit nieder.«
    »Den Teufel werdet ihr tun.« Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Ich weiß wirklich nicht, was ihn so verärgert haben könnte …«
    Als sie Harris' Büro betrat, sah er auf und starrte sie an. »Das hier habe ich gerade von oben bekommen«, ließ er verlauten. »Sie können es lesen, aber zusagen werden Sie, verdammt noch mal, nicht.«
    Julia überflog das Geschriebene hastig.
    Leise verkündete sie: »Ich muß die Sache annehmen. Mir bleibt keine andere Wahl.«
    »Setzen Sie sich einen Moment«, verlangte Ben. »Hören Sie mir bitte zu. Sie leisten gute Arbeit. Ich bin zufrieden mit Ihnen, Ihre Artikel gefallen mir, und das will wirklich etwas heißen. Aber dies hier ist nichts für Sie, die größte Mordstory seit Jahrzehnten – und sicher eine der schlimmsten. Die Mädchen sind gequält und vergewaltigt worden. Wer immer dafür verantwortlich ist, hat sie verstümmelt, als sie noch gelebt haben. Ich würde diese Geschichte unter keinen Umständen einer Frau übertragen. Und außerdem haben Sie noch nie über einen Mord berichtet, nicht wahr? Es geht hier nicht einfach um eine reißerische Sensationsstory, um gebrochene Eltern, die schockierte Öffentlichkeit und all diesen Unsinn – nein, wir haben es mit Untersuchungen, Verhören, Autopsien zu tun. Das ist kein Job für Sie. Wenn Sie sich nur einen Fehler erlauben, sind Sie erledigt. Ich kenne Westerns Regeln.«
    »Wenn ich den Job ablehne, bin ich erledigt«, widersprach Julia. »Deswegen hat er mich ausgewählt. Er will sehen, wozu ich fähig bin. Ich muß es versuchen, Ben, sonst kann ich gleich meine Kündigung einreichen.«
    Er betrachtete sie eingehend. Erst jetzt bemerkte er, wie blaß sie war, wie erschrocken über die Aufgabe, die ihr bevorstand. Aber sie hatte recht. Western würde sie abschreiben, wenn sie ablehnte.
    »Wissen Sie, vielleicht wäre eine Kündigung noch das geringere Übel«, meinte er langsam. »Ich habe

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