Die Entlarvung
erlebt, wie selbst hartgesottene Männer über Geschichten wie dieser zusammengebrochen sind. Lassen Sie sich auf keinen Fall darauf ein. Zeigen Sie dem alten Herrn die Zähne. Meine Unterstützung haben Sie.«
»Ich weiß«, entgegnete sie. »Aber darum geht es nicht. Wenn ich jetzt weglaufe, bescheinige ich mir meine eigene Unfähigkeit. Ich übernehme den Job, Ben, und zeige Western, was in mir steckt. Unterstützen Sie mich immer noch?«
Er erhob sich von seinem Stuhl. »Ich stehe hinter Ihnen, J. Hamilton. Aber nur, solange Sie nichts verpfuschen.«
»Danke«, erwiderte sie. »Ich werde mich bemühen.«
Der Doppelmord erregte landesweite Aufmerksamkeit. Die Sensationsblätter warteten mit einer blutigen Schlagzeile nach der anderen auf. Die seriösen Zeitschriften berichteten betont sachlich und zurückhaltend. Insbesondere der Sunday Herald wurde von allen Seiten für seine präzise, unsentimentale Berichterstattung gelobt. Die Artikel von J. Hamilton boten eine brillante Analyse des Alptraums, der eine Familie und die Bewohner des kleinen Dorfes in Wales befallen hatte. Das Ganze hatte nichts mit Sensationsmache zu tun. Die Berichte waren in klarem Stil verfaßt und zeigten persönliche wie auch soziale Hintergründe auf, die zu dem ungeheuerlichen Verbrechen geführt hatten.
Niemand nahm auch nur an, daß sie von einer Frau geschrieben worden waren.
Nachdem die Polizei den Täter gefaßt hatte, wurde Julia nach London zurückgerufen. Ein Einheimischer, verheiratet und Vater von Kindern, wurde des Doppelmordes bezichtigt. Er hatte direkt neben der Familie der toten Mädchen gewohnt.
Am Tag nach ihrer Rückkehr wurde Julia von ihren Kollegen gefeiert und geehrt. Davis strahlte übers ganze Gesicht und küßte sie auf beide Wangen. Western sandte ihr ein persönliches Schreiben, in dem er ihr seine Anerkennung aussprach. Am Abend wurde sie in die Kneipe ausgeführt, wo Ben Harris an sie herantrat.
»Es ist an der Zeit, daß ich Sie zu einem Drink einlade«, begann er. »Sie haben sich ihn verdient. Kommen Sie, setzen wir uns.« Er zeigte sich selten von seiner geselligen Seite. Normalerweise hielt er sich abseits, war einsilbig und verschlossen. Keiner der anderen Kollegen setzte sich zu ihnen.
»Sie sehen ziemlich mitgenommen aus«, bemerkte er. »Sie sollten ein paar Tage Urlaub nehmen.«
»Ich arbeite lieber«, antwortete Julia. »Wenn ich etwas zu tun habe, werde ich besser damit fertig.«
»Ich habe Sie gewarnt«, sagte er vorwurfsvoll. »Aber Sie wollten ja nicht hören. Der Fall hat an Ihnen gezehrt, man sieht es Ihnen förmlich an. Trinken Sie Ihr Glas aus und lassen Sie mich Ihnen noch etwas bestellen. Ich bin nicht oft so spendabel, also nutzen Sie die Gelegenheit.« Ein Lächeln – ebenfalls selten zu beobachten – hellte sein Gesicht auf. Er strich sein dichtes, mit grauen Strähnen durchzogenes Haar zurück und verkündete: »Sie waren großartig. Ich konnte es kaum glauben. Und jeder neue Artikel war noch besser als der vorherige.«
»Danke.« Sie erwiderte sein Lächeln. »So viele Komplimente auf einmal bin ich von Ihnen gar nicht gewöhnt. Danke, Ben.«
»Entschuldigen Sie, wenn ich hier einfach so eindringe …« Ben sah ungehalten auf. Ein junger Mann stand an ihrem Tisch. »Ich wollte Ihnen nur sagen, wie sehr mich Ihre Berichterstattung über die Rhys-Morde beeindruckt hat. Beim Lesen hätte ich nie gedacht, daß eine Frau die Verfasserin sein könnte. Mein Name ist übrigens Felix Sutton.« Er streckte Julia seine große Hand entgegen. »Ich arbeite im Politikressort. Hoffentlich störe ich Ihre Party nicht. Aber ich mußte einfach loswerden, wie großartig ich Ihre Artikel fand.«
Sein Lächeln wirkte freundlich und selbstbewußt zugleich. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich setze?«
»Natürlich nicht«, antwortete Julia. Ben Harris rückte seinen Stuhl zurück. Sie beobachtete, wie er dem Eindringling einen feindseligen Blick zuwarf und mürrisch sein Gesicht verzog. »Sie entschuldigen mich«, sagte er und stand auf.
Felix schlug vor, in einem italienischen Restaurant am Covent Garden essen zu gehen. Er widersprach nicht, als Julia darauf bestand, ihren Anteil selbst zu bezahlen. Während sie ihm gegenübersaß, wurde ihr bewußt, wie attraktiv er war. Er sah nicht im üblichen Sinne gut aus, sondern hatte eher etwas von einem Boxer – mit seiner krummen Nase und dem muskulösen Körper. Sie vermutete, daß er jünger war als sie. Aber im Moment schien dies
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