Die Entlarvung
öffnete er die Tür zu seiner Wohnung und schlich hinein. Er würde die zwei Miststücke erwischen – was immer sie gerade wieder hinter seinem Rücken trieben. Um diese Zeit rechneten sie noch nicht mit ihm. Wahrscheinlich ruhten sie sich auf ihren schwarzen Hinterteilen aus und ließen es sich gutgehen.
Er würde ihnen eine nette Überraschung bereiten.
»Ich fühle mich schon richtig erholt«, verkündete Julia. »Letzte Nacht habe ich so gut geschlafen wie seit langem nicht mehr.«
Janey fand, daß Julia nicht sonderlich ausgeruht aussah, sagte aber nichts. Dieser anstrengende Job kostete die Kusine viel Kraft. Es würde länger dauern als vierundzwanzig Stunden, bis die gute Luft und das gemächlichere Tempo hier auf Jersey ihre Wirkung zeigten. Sie lächelte Julia an. »Das freut mich zu hören. Die Lejeunes waren übrigens ganz begeistert von dir. Madge hat heute morgen angerufen. Sie würden dich gerne einmal zum Mittagessen einladen, wenn du länger bleibst.«
»Wie nett von Ihnen«, murmelte Julia. Ihr schlechtes Gewissen meldete sich erneut. Wie schrecklich, die ganze Zeit so zu heucheln. »Ich würde die Einladung ja gern annehmen – aber ich kann wirklich nicht länger als eine Woche bleiben.«
Die Menschen hier waren so nett, so unkompliziert, dachte sie, während sie mit Janey, David und dem Setter am Strand entlangging. Sie hatte ganz vergessen, wie Ehepaare unter normalen Umständen miteinander leben konnten. Die Petersons auf ihrer Insel trennten Lichtjahre von den hektischen, machthungrigen Zirkeln, in denen Julia sich seit so langer Zeit bewegte.
Dabei führten die beiden keineswegs ein langweiliges Leben. Sie waren vielbeschäftigt und hatten die unterschiedlichsten Interessen. Sie reisten und liebten Bücher. Anfang des neuen Jahres wollten sie nach London kommen, um ins Theater und ins Ballett zu gehen. David war ein regelrechter Ballettomane. Sie lebten zufrieden und ausgefüllt, hielten sich dabei an ein paar einfache Regeln, die in Julias Medienwelt derart an Wert verloren hatten, daß Julia sie schon fast vergessen hatte. Wenn all dies vorbei ist, beschloß sie nun im stillen, werde ich mein Leben ändern. Ich werde mit Ben sprechen und hören, was er dazu meint. Als sie sich dann jedoch für die wichtige Abendeinladung zurechtmachte, mußte sie über sich selbst lachen. Sich zurückzuziehen stellte keine Alternative für sie dar. Sie war für einen Augenblick ins Träumen geraten – vielleicht weil sie ihre Verwandten um ihren angenehmen Lebensstil beneidete. Aber sie wußte, daß sie sich schon nach kurzer Zeit zu Tode langweilen würde. Und Ben Harris vermutlich auch. Sie waren beide nicht für Häuslichkeit bestimmt. Babys in Kinderwagen, die Gartenarbeit am Wochenende … wie hatte sie an so etwas überhaupt denken können.
Sie sah sehr elegant aus in ihrem langen, engen Samtrock. Die cremefarbene Seidenbluse war wie für sie maßgeschneidert und unübersehbar Haute Couture. Ihr Haar umrahmte ihr Gesicht wie glühende Flammen. Richard Watson mochte attraktive Frauen. Hoffentlich würde sie ihn nicht enttäuschen. Julia sah auf ihre Uhr. Halb acht. Ungeduldig wartete sie unten im Flur auf Janey und David. Unpünktlichkeit machte sie nervös. Eine schlechte Ausgangslage für ihr schwieriges Unterfangen. Sie mußte ruhig und selbstsicher auftreten. Wahrscheinlich war es besser, wenn sie schon einmal vorausfuhr.
Sie wußte, wo Watson wohnte. Als sie heute morgen mit Janey eine kleine Inseltour unternommen hatte, waren sie an dem Haus vorbeigefahren. Vielleicht konnte sie sich Janeys Wagen ausleihen. Sie lief die Treppe hinauf und rief: »Janey? Habt ihr etwas dagegen, wenn ich schon vorausfahre? Ich würde gern pünktlich sein, möchte euch aber nicht hetzen. Darf ich deinen Wagen nehmen?«
»Warte einen Augenblick«, lautete die Antwort. Dann öffnete sich die Schlafzimmertür, und Janey streckte den Kopf heraus. Sie war noch nicht fertig geschminkt. Sie nahm es mit der Pünktlichkeit nicht sehr genau, aber David war noch schlimmer als sie. Den Geräuschen nach, die aus dem Bad drangen, befand er sich immer noch unter der Dusche.
»Es dauert keine zehn Minuten mehr … Willst du nicht mit uns zusammen fahren?«
»Ich möchte Richard Watson nicht warten lassen«, erklärte Julia. »Pünktlichkeit gehört zu einer meiner Phobien, furchte ich. Mir wäre es lieber, wenn ich jetzt gleich aufbrechen könnte.«
»Ja, natürlich. Bist du sicher, daß du den Weg findest?«
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