Die Entscheidung
fragte Farr heiser: »Graves! Ich hoffe, er ist kein verfluchter Verwandter unseres Admirals!«
Bolitho grinste. Da Rodney in den West Indies und noch immer durch Krankheit behindert war, hatte Konteradmiral Thomas Graves das Kommando in den amerikanischen Gewässern erhalten. Da ihm die Weisheit Rodneys fehlte, auch der harterkämpfte Respekt Hoods, wurde er von den meisten Offizieren der Flotte als ein fairer, aber vorsichtiger Kommandeur eingeschätzt. Er glaubte hundertprozentig ans strenge Reglement und es war nicht bekannt, daß er jemals auch nur ein Jota davon abgewichen wäre. Verschiedene ältere Kapitäne hatten Vorschläge zur Verbesserung des Signalsystems im Gefecht eingereicht. Graves hatte laut vieler Geschichten, die in der Flotte die Runde machten, dazu nur kalt gesagt: »Meine Kapitäne kennen ihre Aufgabe. Das sollte genügen.«
Bolitho erwiderte: »Nein. Aber wenn es so wäre, wüßten wir vielleicht mehr vom Geschehen.«
Farr stand auf und rülpste. »Guter Wein. Noch bessere Gesellschaft. Ich werde Sie jetzt Ihrer versiegelten Order überlassen. Wenn die Depeschen von allen Admiralen der Welt zusammengebunden würden, hätten wir genug, um den Äquator damit zu bedecken, das ist eine Tatsache! Zum Donnerwetter, manchmal meine ich, wir ersticken an Papier!« Er stolperte aus der Kajüte und lehnte Bolithos Angebot ab, ihn nach oben zu begleiten. »Wenn ich nicht allein fertig werde, ist es Zeit, daß man mir eine Ladung Blei verpaßt und mich über Bord wirft!«
Bolitho setzte sich an den Tisch und öffnete den Leinenumschlag, obwohl seine Augen hauptsächlich auf dem kleineren ruhten.
Die Befehle waren kürzer als gewöhnlich. Da sie seeklar war, sollte die Korvette seiner Majestät, Sparrow, Anker lichten und am nächsten Tag in aller Frühe auslaufen. Sie würde eine unabhängige Patrouille ausführen, östlich zum Montauk Point an der Spitze von Long Island, und dann in Richtung Block Island bis zu den Ausläufern von Newport.
Er unterdrückte die aufsteigende Erregung und zwang sich, sich auf die spärlichen Erfordernisse der Patrouillenfahrt zu konzentrieren. Er sollte sich nicht mit feindlichen Kräften einlassen, außer auf eigene Verantwortung. Seine Augen ruhten auf den letzten Worten. Wie ihn dies an Colquhoun erinnerte! So kurz, und doch beinhaltete es die ganze Problematik seiner Position, falls er falsch handelte.
Aber endlich konnte man etwas Direktes tun, nicht nur Blockadebrecher aufspüren oder einen schlauen Freibeuter suchen. Dies war französisches Gebiet, der Zipfel der zweitgrößten Seemacht der Welt. Er sah, daß Konteradmiral Christie seine Unterschrift unter die krakelige des Flaggkapitäns gesetzt hatte. Wie typisch für diesen Mann. Ein Zeichen seines Vertrauens und der Reichweite seines Armes. Er stand auf und klopfte an das Skylight. »Fähnrich der Wache!«
Er sah Bethunes Gesicht über sich und rief: »Empfehlung an den Ersten Leutnant, ich möchte ihn sofort sehen.« Er machte eine Pause. »Ich dachte, Sie hätten eine frühere Wache?«
Bethune schlug die Augen nieder. »Aye, Sir. Das stimmt, aber...«
Bolitho sagte ruhig: »In Zukunft gehen Sie Ihre Wachen wie festgelegt. Ich nehme an, Mr. Fowler hätte jetzt Wache gehabt?«
»Ich habe es mit ihm abgesprochen, Sir.« Bethune sah unsicher aus. »Ich schuldete ihm einen Gefallen.«
»Nun gut. Aber erinnern Sie sich an meine Befehle. Ich dulde keine pensionierten Offiziere auf diesem Schiff!«
Er setzte sich wieder. Es hätte ihm auffallen müssen, was vorging. Der arme Bethune war den Fowlers dieser Welt nicht gewachsen. Dann lächelte er trotz seiner Besorgnis. Er hatte gut reden.
Er schlitzte den zweiten Umschlag auf und stieß sich dabei am Tisch. Er las: Mein lieber Kapitän, ich würde mich sehr freuen, wenn Sie heute abend mit uns speisen könnten. Ich bin unglücklich über diese nicht entschuldbare Verspätung und hoffe, daß Sie mir sofort vergeben werden. Während Sie diesen Brief lesen, beobachte ich Ihr Schiff durch das Fernglas meines Onkels. Damit ich nicht im Ungewissen bin, zeigen Sie sich bitte.
Der Brief war unterschrieben mit ›Susannah Hardwicke‹. Bolitho erhob sich, schloß rasch seine Befehle in die Kajütenkassette ein und eilte die Niedergangsleiter hinauf.
Das Fernglas ihres Onkels? General Blundell war also auch da. Das mochte die Wachen an den Toren erklären.
Aber sogar diese Tatsache deprimierte ihn nicht. Er stieß fast mit Tyrell zusammen, als dieser nach vorn
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