Die Erben
Mond an und kratzte sich unter der Lippe. Fa stieß einen Schrei aus. »Der Stamm!«
Er blickte an seinen Füßen herunter ins Wasser, aber der Stamm war nicht mehr da; er schaute hierhin und dorthin und dann zaghaft in die Luft; da sah er ihn an Fa vorübergleiten und langsam abdrehen. Sie kletterte den Fels entlang und griff nach den beinähnlichen Ästen. Der Stamm wollte sie mitreißen, verhielt, dann begann das Ende, das Lok hatte fahren lassen, in die Strömung hinauszutreiben. Er machte Anstalten, es zu fassen, aber, der Stamm war schon außer Reichweite. Fa schnatterte und schrie ihn vor Wut an. Er wich scheu vor ihr zurück. »Der Stamm, der Stamm –« plapperte er verständnislos. Die Wehsal war ein Stück von ihm abgeflossen, wie die Flut verebbt, doch er spürte, daß sie in der Ferne noch immer wartete.
Das andere Ende des Stammes klatschte wider den Schweif der Insel. Das Wasser des Flusses stieß seitwärts dagegen, und der Stamm rollte herum und entriß Fas Hand den Ast. Der Ast scheuerte über die Terrasse, blieb hängen, straffte sich, schnellte auf, spannte sich wieder und gab mit langem Ächzen nach. Der Stamm wurde eingekeilt, das dicke Ende schlug an das Gestein, wumm, wumm, wumm; über den Mittelteil ergoß sich das Wasser in einer kleinen Schnelle, und der Wipfel fuhr sich splitternd in der unebenen Wand der Terrasse fest. Die Mitte des Stammes war wohl fast so dick wie Lok, doch sie bog sich unter dem Druck des Wassers, denn der Stamm war viele Male so lang wie ein Mann.
Fa trat dicht zu ihm und sah ihm zweifelnd ins Gesicht. Lok fiel wieder ein, wie zornig sie gewesen war, als der Stamm ihnen zu enteilen gedroht hatte. Er klopfte ihr schnell auf die Schulter. »Ich sehe viele Bilder.«
Sie sah ihn schweigend an, dann lächelte sie und tätschelte ihn ebenfalls. Darauf schlug sie sich mit beiden Händen leise auf die Schenkel und lachte ihn an, daß er es ihr nachtat und gleichfalls lachte. Der Mond war jetzt so hell, daß zwei graublaue Schatten zu ihren Füßen das Spiel verdoppelten.
Ein Spitzohr heulte bei der Höhlennische. Lok und Fa eilten über die Terrasse hinauf. Ihre Bilder wurden wortlos zu einem einzigen Bild. Als sie die Tiere sehen konnten, hatten sie schon Steine in der Hand und gingen in großem, seitlichem Abstand vor. Sie knurrten und bellten, und da waren die Spitzohren bereits die Felsen hinaufgeflohen und schlichen sich zögernd nach oben davon, graue Schatten mit vier Augen gleich grünen Funken. Fa nahm den Rest des Fleisches aus der Wandnische, und die Tiere knurrten ihnen nach, während sie wieder die Terrasse hinunterliefen. Als sie bei dem Stamm angelangt waren, hatten sie unbewußt zu essen angefangen. Da nahm Lok seinen Knochen vom Mund. »Für Liku.«
Der Stamm war nicht allein. Ein anderer, kleinerer lag neben ihm, polterte und rollte dagegen, und das Wasser floß über beide hinweg. Der Mond tauchte alles in milchiges Licht, und Fa trat vor und ließ einen Fuß auf dem Stamm ruhen. Dann kam sie zurück und sah auf das Wasser und verzog das Gesicht. Sie ging wieder die Terrasse hinauf, sah flußabwärts zu der blitzenden Schwelle des Falls und rannte dann los. Sie scheute, stemmte die Füße in den Boden, blieb stehen. Ein großer Stock, der im Wasser wirbelte, schloß sich den beiden Stämmen an. Sie versuchte es noch einmal, mit kürzerem Anlauf, und hielt wieder an und erbebte vor dem blendenden Wasser. Sie begann, vor den Stämmen auf der Terrasse umherzulaufen und stieß keine richtigen Worte aus, sondern wilde, verzweifelte Laute. Dies war wieder etwas Neues, und es erschreckte Lok so, daß er die Terrasse entlang davoneilte. Doch dann fiel ihm der andere Stamm ein und daß er selbst davor mit seiner gespielten Angst die Gefährten erheitert hatte, und er versuchte zu lachen, obwohl etwas auf Fas Rücken jetzt nicht da war. Sie lief auf ihn zu, und ihre Zähne bleckten ihn an, als wollte sie ihn beißen, und seltsame Laute kamen aus ihrem Mund, daß er zurückschnellte.
Dann verstummte sie und klammerte sich an ihn und zitterte, und sie waren auf dem Fels nur ein einziger Schatten. Mit einer Stimme, in der ihn nichts an Oa gemahnte, flüsterte sie:
»Geh du zuerst über den Stamm –«
Lok machte sich von ihr frei. Jetzt da sie schwiegen, überkam ihn wieder die Wehsal. Er blickte auf den Stamm und erkannte, daß es ein Außerhalb von Lok und ein Innerhalb von Lok gab und daß das Außerhalb besser war. Er packte das Fleisch für Liku fest mit
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