Die Erben der Nacht 04 Dracas
wussten nun nicht mehr, was sie tun sollten. Noch einmal drehten sie eine Runde über dem Platz und flogen dann in Richtung Stadt davon.
Dracula trat vor, bückte sich und hob die noch immer reglose Ivy auf.
»Du dachtest wohl, du könntest dich wandeln. Ein schlauer Plan! Sich als eine unter Tausenden Fledermäusen unter den Schwarm zu mischen. Nein, meine Liebe, es ist zwecklos. Du gehörst jetzt mir.«
Wie ein Kind hielt er sie in seinen Armen und sah auf ihr weißes Mädchengesicht herab.
»Zeit, zu gehen«, sagte er.
Eine Kutsche, der vier schwarze Pferde vorgespannt waren, löste sich aus den Schatten der Hof burg und kam rasch näher. Auf dem Kutschbock saß eine verhüllte Gestalt, deren Augen unheimlich
rot zu glühen schienen. Dracula stieg mit Ivy in den Armen ein. Er hatte den Schlag noch nicht geschlossen, da zogen die Pferde an und waren so schnell mit dem schweren Gefährt verschwunden, dass Latona sich die Augen reiben musste. Waren nicht einmal seine Pferde gewöhnliche Tiere?
Reglos standen die drei unter den Säulen des Burgtors, bis der Professor Latona leicht am Arm berührte.
»Lassen Sie uns wieder einsteigen. Hier gibt es nichts mehr zu tun.«
»Wir müssen sehen, was mit der Vampirin geschehen ist«, widersprach Latona und lief zum Rand der Baugrube hinüber, ehe die Männer sie zurückhalten konnten.
Es war kein schöner Anblick. Wie sie vermutet hatte, war sie in die aufragenden Eisenstangen gefallen, die ihren Körper an mehreren Stellen durchbohrt hatten. Eine der Spitzen musste ihr Herz getroffen haben, denn es sah nicht so aus, als gebe es auch nur noch eine Spur von Leben in ihr.
»Aber kann sie sich nicht wieder regenerieren, solange ihr Kopf auf den Schultern sitzt und es kein Silber war, das in ihr Herz gedrungen ist?«, fragte Latona den Professor, der mit Bram neben sie trat.
»Schon möglich, dennoch werden wir nicht in diese Grube hinabsteigen und ihren Körper bergen.«
Auch Bram schüttelte energisch den Kopf. »Nach allem, was wir gehört haben, glaube ich, dass die Welt gut auf sie verzichten kann!«
Latona stimmte ihm zögernd zu und wandte sich ab. »Gut, gehen wir zurück.«
Die Glocken des Doms und der Votivkirche schlugen bereits sieben Mal, als die Kutsche anfuhr.
»Baronin von Schey wird sich fragen, wo wir bleiben. Wir werden zu spät ins Theater kommen«, bemerkte der Professor.
Latona nickte stumm. Wie konnten sie nun einfach in die normale Welt zurückkehren, um ins Theater zu gehen? Sie dachte an ihre Gastgeber. Sie schienen so weit weg. Ein anderes Leben in einer anderen Welt.
»Der arme Philipp wird enttäuscht sein«, meinte Bram, dem es ebenfalls sichtlich schwer fiel, das Erlebte abzustreifen und sich auf den Theaterbesuch einzustellen.
Alle drei schwiegen eine Weile und hingen ihren Gedanken nach.
»Würdest du das Angebot der Baronin annehmen, in Wien bleiben und mir versprechen, nichts Leichtsinniges zu unternehmen, bis ich zurück bin?«, fragte Bram unvermittelt.
Latona hatte keine Schwierigkeiten, seinen Gedankengängen zu folgen. Sie seufzte.
»Ach Bram, wenn ich vernünftig wäre, dann würde ich Nein sagen und drohen, etwas Wahnwitziges anzustellen, sobald Sie mich alleine lassen. Denn das, was Sie vorhaben, ist lebensgefährlicher als alles, was ich je getan habe! Sie wollen Draculas Festung in den Karpaten aufsuchen, um Ivy zu retten, habe ich recht? Seien Sie kein Narr!«
»Ich verspreche dir, ich bin vorsichtig und werde nichts Unüberlegtes tun.«
Latona schnaubte. »Auf dieses Versprechen gebe ich keinen Pfifferling. Allein diese Reise ist unüberlegt!«
»Aber nein, van Helsing und Professor Vámbéry planen sie schon seit Tagen. Ich werde mich ihrem Rat unterordnen.«
»Ja, tun Sie das, denn ich möchte Sie nicht auch noch verlieren. Ich habe mich an Sie gewöhnt und es täte mir sehr leid, wenn Sie nie mehr aus dem fernen Transsilvanien zurückkämen.«
Zu ihrer Überraschung merkte Latona, dass ihre Worte aufrichtig gemeint waren und sie wirklich Angst um ihn hatte. Sollte sie ihn begleiten? Nein, was wäre sie ihm schon für eine Hilfe. Er kannte sie längst nicht so gut wie Onkel Carmelo, mit dem sie so viele Aufträge erledigt hatte. Er hatte sie dabei als geübte Partnerin geschätzt. Bram kannte sie nur als hilfloses Mädchen. Außerdem würde Bram sich nicht überreden lassen, sie mitzunehmen. Da war sie sich sicher.
»Begreifen Sie nun«, murmelte Latona, »dass uns die Vernarrtheit in einen Vampir dazu
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