Die Erben der Nacht 04 Dracas
treiben kann, unser Leben aufs Spiel zu setzen?« Bram nickte stumm.
Sie passierten die Votivkirche und bogen in den letzten Abschnitt der Ringstraße ein, der an der Kronprinz-Rudolf-Kaserne in der Rossau vorbei bis zum Donaukanal hinunter führte. Unvermittelt hielt der Kutscher an. Professor Vámbéry sah aus dem Fenster.
»Was ist los?«
»Das weiß ich selbst nicht, gnädiger Herr, aber irgendwas stimmt nicht.«
Latona vergaß ihre schweren Gedanken und beugte sich aus dem anderen Fenster. Ja, etwas war hier im Gange. Das war nicht der gewohnte abendliche Müßiggang der Gesellschaft mit ihren vornehmen Kutschen und Reitern. Hektisch preschten Reiter und Fiaker vorbei. Eine Dunstglocke von Panik schien über der Stadt aufzusteigen. Latona beugte sich noch ein wenig weiter vor. Und da sah sie es. Sie keuchte.
»Bram, Professor, sehen Sie dort vorne, der ungewöhnliche Lichtschein und das Flackern! Und es steigt Rauch auf! Ist das etwa das Theater?«
Es war der Kutscher, der ihnen antwortete. »Ja, Fräulein, Sie haben recht, das Ringstraßentheater brennt!«
Vielleicht wären auch die drei Erben zu spät ins Theater gekommen, hätte Alisa nicht so gedrängt und Luciano geradezu mit Gewalt aus dem Haus am Rabensteig geschleppt.
»Es ist noch reichlich Zeit«, meckerte Luciano, als sie den Fiaker weggeschickt hatten und durch das Tor traten. Ein wenig abseits standen zwei Dracas, deren Namen sie nicht kannten. Offensichtlich hatten sie auf ihr Kommen gewartet. Nun traten sie hinter ihnen ins Theater, fragten glücklicherweise aber nicht nach, warum sie so spät eintrafen.
»Ja, wir haben noch ein paar Minuten«, bestätigte Franz Leopold. »Du hättest dich also noch ein wenig länger mit deinem neuen Schatten zanken können.«
Luciano nickte bedrückt. »Ach, wenn ich Clarissa nur überzeugen könnte, das so ein Vampirdasein durchaus angenehm sein kann. Ob sie mir jemals verzeiht?«
Franz Leopold rollte mit den Augen. »Du gehst das völlig falsch an, wenn du mich fragst.«
»Ich frage dich aber nicht!«, brauste Luciano auf. »Ausgerechnet dich, der du uns in diese Misere gebracht hast!«
Franz Leopold ließ sich nicht beirren. »Du musst ihr gleich zeigen, dass sie dir Respekt schuldig ist, denn du bist ihr Meister, der sie geschaffen hat - auch wenn du das ohne Ivys Hilfe niemals hinbekommen hättest.«
Sie folgten den labyrinthartigen Gängen und Treppen erst hinunter zur Garderobe, wo sich noch eine Traube Theaterbesucher drängte. Von hier ging es ins Parkett oder über die engen, gewundenen Treppenschächte hinauf in die Logen und die oberen Ränge, wo sich die meisten Plätze befanden. Die Abmessungen des Grundstücks waren einfach zu klein für solch einen Theaterbau - wenn man die vorgegebene Anzahl an Sitzen unterbringen wollte -, sodass der Architekt gezwungen gewesen war, turmartig in die Höhe zu bauen. Nicht ganz glücklich und ganz sicher nicht annähernd so prächtig wie die neue Hofoper.
»Apropos Ivy. Meinst du, sie ist schon da? Ich bin neugierig, was der Baron so Wichtiges von ihr wollte.« Alisa schnitt eine Grimasse. »Er war ziemlich aufgebracht. Ich hoffe nur, das bedeutet nicht, dass ihr Geheimnis nun keines mehr ist.«
Franz Leopold sah sie ernst an. »Was hätte es sonst sein können, das ihn derart aus der Fassung bringt und nicht Zeit bis nach dem Theater hat?«
Alisa starrte ihn an. »Bei allen Dämonen, was wird er mit ihr machen? Wir hätten nicht fahren dürfen. Wir haben sie im Stich gelassen, als sie unsere Hilfe am dringendsten brauchte.«
Franz Leopolds Züge verhärteten sich. »Was glaubst du, hätten wir tun können? Den Degen gegen mein Familienoberhaupt ziehen? Sei nicht albern. Außerdem ist er kein Monster, das ihr gleich den Kopf herunterreißen wird.«
»Er ist ein stolzer Dracas, sagt das nicht alles?« Luciano schnaubte, doch Franz Leopold ignorierte es.
»Und außerdem hat Ivy es bewusst herausgefordert. Ihr war klar, dass man schon blind sein muss, um nicht zu bemerken, dass sie
sich innerhalb der vergangenen drei Jahre überhaupt nicht verändert hat.«
Alisa wollte kehrtmachen und zum Ausgang zurück, doch Franz Leopold griff nach ihrem Arm. »Lass uns erst hineingehen und nachsehen, ob sie nicht schon in unserer Loge sitzt, ehe wir die Pferde scheu machen.«
Luciano nickte und schritt die Treppe hoch, die zum Parkett führte. Von dort hatten sie einen guten Überblick über die Logen und ihre Besucher und ersparten sich, all die Treppen
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