Die Erben der Nacht 04 Dracas
sich auf die Kraft, während das Feuer um sie herum alles verzehrte und die Flammen bereits meterhoch durch den Dachstuhl in den nächtlichen Himmel schlugen.
Seymour hetzte durch die Nacht. Er fühlte sich elend, Ivy alleine ihrem Schicksal überlassen zu haben, doch was hätte er tun sollen? Sich dem Tod in die Arme werfen und sich von Dracula zermalmen lassen? Seymour zweifelte nicht daran, dass es dem Vampir gelungen wäre, ihn zu töten, noch ehe er seine Zähne in dessen Hals hätte senken können. Seymour fürchtete den Tod nicht und
hätte sich für seine Schwester geopfert, doch was nützte es, wenn er starb, ohne sie aus den Händen des Schattens befreit zu haben?
Nein, so hatte er wenigstens eine Chance, doch noch helfend einzugreifen. Dazu brauchte er aber dringend Unterstützung. Im Palais Coburg bei den Dracas konnte er nicht mit Hilfe rechnen. Sie hatten Ivy ja erst in diese schlimme Lage gebracht!
Beim Gedanken an die Baronesse und ihren Verrat fletschte er im Laufen die Zähne. Sie hatte Ivy geradewegs in Draculas Arme geführt. Und ausgerechnet die Dracas warfen den Lycana Lüge und Verrat vor!
Nein, zum Palais brauchte er nicht zurückzulaufen. Er schlug direkt den Weg quer durch die Stadt ein, den Kohlmarkt hinunter und dann die Tuchlauben entlang. Als er die Peterskirche passierte, hielt er kurz inne. Was war das?
Durch ein Loch in der Außenwand des Turms quollen dunkle Leiber hervor, breiteten ihre Schwingen aus und stürzten davon. Hunderte, nein Tausende Fledermäuse, die in einer Wolke davonschossen. Seymour wusste, wessen Ruf sie folgten. Ivy war also noch bei Bewusstsein und nicht gewillt, sich dem Meister zu ergeben. Gut! Der Wolf hetzte weiter, bis er schlitternd vor dem Haus am Rabensteig zum Halten kam. Zu seinem Entsetzen fand er nur Hindrik mit der frisch gewandelten Vampirin vor. Nein, die beiden konnten ihm nicht helfen. So rannte der Wolf weiter durch die Stadt nach Westen, der Ringstraße zu.
Er war nicht der Einzige, der zum Theater lief. Reiter und Karren waren unterwegs, Fußgänger fügten sich zu Grüppchen zusammen, aus denen ein pulsierender Strom wurde. Das waren keine Theaterbesucher! Was ging hier vor sich? Da begannen Glocken zu läuten. Polizisten in Uniform ritten vorbei und auf einmal hörte Seymour das Schrillen der Sirene eines Feuerwehrwagens, der vom Hof her angefahren kam. Längst schon hatte sich die Nachricht in ganz Wien verbreitet: Das Ringstraßentheater brannte. War diese Teufelei etwa auch Draculas Geist entsprungen?
Als er die Häuserschlucht hinter sich ließ und auf die Ringstraße hinaushechtete, sah er schon die Flammen aus dem Dach schlagen. Was für ein Inferno! Der Wolf schlüpfte durch den zunehmend
dichteren Wald aus Menschen- und Pferdebeinen hindurch, bis er die Hitze des Feuers spüren konnte. Er ließ den Blick schweifen, konnte aber keinen der Vampire entdecken, weder die Dracas noch einen der Erben. Waren sie etwa noch dort drin in dieser Hölle? Er musste sie finden! Von vorne kam er nicht hinein. Er musste es auf der anderen Seite versuchen. Seymour lief um das Theater herum. Ja, da stand einer der Bühneneingänge offen. Er sprang die Treppe hinauf und stürzte in das Gebäude.
Das Feuer umgab ihn von allen Seiten. Die flirrende Hitze nahm ihm den Atem und versengte ihm den Pelz. Die Flammen leckten an den Wänden empor bis an die Decke. Er sprang um brennende Kulissen herum. Der schwere Vorhang war längst abgebrannt. Vage konnte er den Zuschauerraum erkennen, von dem aus die letzten Besucher versuchten, die Türen zu erreichen. Die Hitze und der Rauch hatten sie in die Knie gezwungen, sodass sie verwirrt auf allen vieren die Sitzreihen entlangkrochen.
Da entdeckte er sie. Alisa, Leo und Luciano, die sich an den Händen hielten, die Augen geschlossen, kühl und konzentriert, als befänden sie sich an einem sicheren Ort und nicht im Herzen der Hölle. Seymour sprang mit einem riesigen Satz über die Bühne in den Zuschauerraum. Keinen Moment zu spät! Hinter ihm krachte ein Teil der Decke mit den brennenden hölzernen Kulissen herunter. Wo er eben noch gestanden hatte, lagen nun ineinander verkeilte brennende Balken. Für einen Augenblick sah der Wolf zurück, in der Erkenntnis, wie knapp er davongekommen war. Als er sich wieder umwandte, waren die drei verschwunden. Seymour blinzelte. Er konnte es nicht fassen. Wie war das möglich?
Da entdeckte er zwischen den Rauchschwaden drei Fledermäuse, die zu einer der Logen im
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