Die Erben der Nacht 04 Dracas
interessiert zu, beobachtete dabei aber Clarissas Mienenspiel, das zwischen Neugier und Abscheu wechselte. Sie konnte und wollte sich noch nicht auf ihr neues Dasein einlassen, obwohl sie sich der Faszination dieser magischen Wesen nicht völlig entziehen konnte.
Hindrik und Seymour begannen zu überlegen, wie sie doch noch
helfend eingreifen könnten, verwarfen ihre Einfälle aber einen nach dem anderen. Es war zu spät, die Reisenden einzuholen. Außerdem würde sich Seymours Genesung noch eine Weile hinziehen. Und Hindrik durfte Clarissa nicht alleine lassen.
Verstohlen ließ Latona ihren Blick auf der Tochter aus dem Haus Todesco ruhen. Es gab so viele Fragen, die sie umtrieben. War das nicht die Gelegenheit, Antworten zu bekommen? Sie erhob sich und nahm auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz.
»Clarissa, darf ich dich etwas fragen?«
Als sie die Lider hob, war in ihrem Blick solch ein Feuer, dass Latona erschrak. »Oh, ist es in Ordnung, wenn wir du sagen?«
Clarissa schnaubte. »Meinst du, in meinem neuen Dasein sind solche Höflichkeitsformen noch wichtig? Soweit ich mitbekommen habe, ist mein Streben von nun an darauf ausgerichtet, durch die nächtliche Stadt zu streifen und das Blut ahnungsloser Menschen zu trinken!«
Latona erschrak über so viel Verbitterung. »Dann wolltest du die Wandlung nicht?«
»Es hat mich keiner gefragt!«, schleuderte ihr Clarissa entgegen. »Außerdem kann ich mir nicht denken, dass jemand so etwas freiwillig über sich ergehen ließe!«
Latona lächelte in Erinnerung an Malcolm und seinen Biss. »Ich würde mich jederzeit verwandeln lassen, wenn ich dadurch für immer an Malcolms Seite bleiben könnte.«
Clarissa starrte sie an. »Du hast dich in einen Vampir verliebt? Du hast mein volles Mitgefühl. Lauf weg, solange du noch kannst.«
»Ganz im Gegenteil«, sagte Latona steif. »Ich werde mich auf die Suche nach Malcolm machen, sobald ich hier meine Versprechen eingelöst habe. Wir haben uns Liebe und Treue geschworen.«
»Ja, das haben Luciano und ich auch. Dabei hat er allerdings vergessen, zu erwähnen, dass es nur mein Blut ist, das er so heiß und innig liebt, und er mich lieber auf seinem Tisch als bei einem gemeinsamen Leben an seiner Seite sieht.«
Hasserfüllt schleuderte sie die Worte heraus. Wie tief musste sich Clarissa verletzt fühlen. Sie glaubte, ihr Liebster habe sie verraten, doch Latona ahnte, wie stark die Leidenschaft in einem
jungen Vampir aufwallen konnte, sodass er gegen seinen Willen die Beherrschung verlieren musste. Auch Malcolm hätte sie fast getötet, wäre Bram nicht rechtzeitig aufgetaucht, und dennoch wollte sie Malcolm nicht für seine Leidenschaft verurteilen, die in seiner Natur als Vampir lag. Sie liebte ihn. Liebe hieß auch, zu verzeihen und den anderen so anzunehmen, wie er eben war. Und wenn die einzige Möglichkeit, bei ihm zu bleiben, darin bestand, ebenfalls zum Vampir zu werden, dann musste sie diesen Weg gehen. Sie sah wieder zu Clarissa, deren ganzer Körper ihr Leiden ausdrückte.
»Dass er dich gebissen hat, heißt nicht, dass seine Schwüre zuvor eine Lüge waren«, sagte sie behutsam.
Clarissa schnaubte. »Woher willst du das wissen? Er hat mich geblendet und meine Unschuld ausgenutzt, und dann hat er mein Blut getrunken.«
»Wenn es so war, warum hat er dich dann nicht einfach sterben lassen?«
Clarissa zuckte mit den Schultern. »Hindrik hat mir gesagt, dass einige der Clans sich unreine Vampire als ihre Diener erschaffen.«
Latona nickte. »Schon möglich. Hat Luciano dich wie eine Dienerin behandelt, als du nach deiner Wandlung erwachtest? Oder ist er abfällig mit dir umgegangen, hat dich gar ignoriert?«
Widerstrebend musste Clarissa jeden Punkt verneinen.
»Und warum zweifelst du dann an der Aufrichtigkeit seiner Liebe?«
Die junge Vampirin überlegte. Die Abscheu war aus ihrer Miene gewichen, doch Latona spürte Verzweiflung.
»Wenn er es aufrichtig meint, wie kann er mir das antun, ohne mich zu fragen? Er hat mir nicht gesagt, dass er ein Vampir ist. Ja, ich habe ihm versprochen, mit ihm nach Rom zu gehen, aber doch nicht so! Ich werde niemals wieder die Sonne sehen. Und ich kann meine Familie nicht um Verzeihung bitten. Luciano hat mich umgebracht. Wie kann ich ihn da noch lieben? Ihm gar noch einmal vertrauen?«
Latona ließ die Worte in sich nachklingen. Ganz unrecht hatte Clarissa nicht. Und dennoch unterstellte sie Luciano keine bösartige Täuschung. Wie hätte er sich ihr nähern sollen und
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