Die Erben der Nacht 04 Dracas
im Schutz der Kirche auf sie gewartet hatten und nun, mit mehr Abstand als zuvor, die Verfolgung wieder aufnahmen. Und nicht einmal Ivy ahnte etwas von der Vampirin aus Siebenbürgen, die in der Gruft unter der Kirche aufgebracht ihre Runden um die Särge drehte. Tonka glaubte, verrückt zu werden, die vier Erben mit nur zwei Unreinen als Begleitung so nah an ihrem Versteck zu wissen, ohne etwas unternehmen zu können.
»Warum schlagen wir jetzt nicht zu?«, schimpften die anderen.
Doch Tonka schüttelte den Kopf. »Vier sind zu wenig. Wir brauchen sie alle! Wenn wir uns diese vier jetzt nehmen, sind die Dracas gewarnt und ich sage euch, wir würden es nicht nur mit ihrem
gesamten Clan zu tun bekommen. Vermutlich würden in nur wenigen Stunden auch die restlichen hier in Wien auftauchen, um zu schützen, was ihnen das Wertvollste ist.«
Sie hielt inne und ballte die Fäuste, dass die Knochen knackten. »Nein, so schwer es uns auch fällt. Wir müssen uns in Geduld üben und auf den richtigen Augenblick warten, sie alle in unsere Hände zu bekommen.«
Als sie das Palais Coburg wieder erreichten und sich jeder der Erben in seine Schlaf kammer zurückzog, um sich für den Unterricht fertig zu machen, hatte Alisa das Mädchen mit dem Fächer längst vergessen. Nicht jedoch Luciano. Vermutlich hätte es sie beunruhigt, wäre sie Zeuge der drängenden Fragen geworden, die er an Franz Leopold richtete.
»Weißt du, wo die Familie von Todesco wohnt?«
»Aber ja. Ihnen gehört das große Palais gegenüber der neuen Oper, direkt am Ring. Die Hauptfassade geht allerdings zur Kärntner Straße hin.«
Luciano nickte zufrieden. »Weißt du sonst noch etwas über diese Familie?«
Wie der Nosferas befürchtet hatte, hoben sich Franz Leopolds Augenbrauen misstrauisch an.
»Warum willst du das alles wissen? Hast du solch einen Appetit auf die Kleine? Ich kann dich nur warnen. Es ist nicht gut, solch einem Drängen in sich nachzugeben. Es verselbstständigt sich und wird irgendwann so übermächtig, dass man nicht mehr dagegen ankommt. Und bist du einmal dem Blutrausch verfallen, raubt er dir den Verstand, bis du dich völlig vergisst und Gefahr läufst, gemeinsam mit dem sterbenden Menschen in die Tiefe der Finsternis gerissen zu werden.«
Franz Leopold starrte mit glasigem Blick vor sich hin, als wären seine Gedanken weit weg. Er schien Luciano gar nicht mehr wahrzunehmen.
»Ach, sprichst du aus eigener Erfahrung?«, entgegnete der Nosferas ein wenig spitz.
Ein Schauder lief durch Franz Leopolds Körper und er blinzelte ein wenig verwirrt. »Und wenn es so wäre, ginge dich das nichts an. Wir sprachen über dich und den kleinen Schmetterling - wie hieß sie doch gleich?«
»Clarissa!«
»Ja, Clarissa. Sage nachher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
»Ja, ja, ich spreche dich von jeder Schuld frei«, erwiderte Luciano leichthin und bohrte weiter: »Aber nun sag, was weißt du über ihre Familie?«
Franz Leopold legte die Stirn in Falten. »Mal überlegen. Die Ringstraßenbarone sind nicht gerade die Menschen, für die wir Dracas besonderes Interesse hegen, doch ein paar Dinge habe ich in den Salons und in der Zeitung mitbekommen. Der Großvater hieß, glaube ich, Hermann Todesco. Er hat sein Vermögen mit Tuchfabriken und im Speziellen mit Seide gemacht. Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass sie Juden sind. Der alte Herr nahm es mit der Tradition noch recht genau und wollte stets auch die Armen an seinem Erfolg teilhaben lassen. Man sagt, er habe täglich einhundert Bedürftige in seinem Haus verköstigt!« Franz Leopolds abfälliger Ton deutete an, was er von solchen Grillen hielt.
»Sein Sohn Eduard jedenfalls nahm sowohl von der Religion als auch von solch übereifriger Mildtätigkeit Abstand. Er baute das Palais an der Ringstraße und widmete sich vor allem dem Bankhaus, das sein Vater in späteren Jahren gegründet hat. Natürlich kam der Kaiser nicht umhin, ihn in den Freiherrenstand zu erheben.« Franz Leopold schnaubte.
»Warum?«, erkundigte sich Luciano, dem der Zusammenhang nicht klar war.
»Die hoffähigen Familien des alten Adels, die die Habsburger um sich scharen, blieben gerne unter sich und möchten die restliche Welt ignorieren. Doch längst sind es andere, die das große Geld besitzen, mit denen der Kaiser seine Kriege finanziert oder auch den Fortschritt - den der Kaiser eigentlich gar nicht mag -, wie zum Beispiel die Eisenbahn. Ich glaube, Großpapa Todesco war auch Direktor der
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