Die Erben der Nacht 04 Dracas
lohnte. Um sie allerdings bei anderen Vampiren anzuwenden, musste man schon ein Meister sein, von denen es nicht viele unter den Dracas gab.
Inzwischen trainierten auch Tammo, Fernand und Joanne immer häufiger unter Franz Leopolds Anweisung ihre Gedankenkräfte. Und neuerdings waren sogar Sören und Chiara zu ihnen gestoßen.
Alisa hatte Franz Leopold bedrängt, auch Sören unter seinen Schülern aufzunehmen. Widerstrebend hatte er nachgegeben.
»Wenn es unbedingt sein muss. Dann bring ihn halt mit - wenn er überhaupt will und nichts Besseres zu tun hat.«
Alisa drückte seinen Arm. »Danke, das ist sehr großzügig von dir. Ich werde ihn gleich suchen. Natürlich wird er mitmachen wollen. Was soll er in seiner freien Zeit hier Wichtigeres zu tun haben?«
Franz Leopold schnitt eine seltsame Grimasse. »Mir fiele da schon etwas ein.«
»Was denn?«, wollte Alisa wissen, doch er schüttelte nur den Kopf und wandte sich ab.
Komisch. Wobei ihr einfiel, dass Sören in einer seltsamen Stimmung gewesen war, als sie ihn das erste Mal aufgesucht hatte, um seine Gedanken auszuforschen - nur zu Übungszwecken, versteht sich.
Weit war sie allerdings nicht gekommen. Es war eben etwas anderes, ob das Gegenüber aufmerksam mit dabei war und bewusst seinen Geist freigab, oder ob man unaufgefordert einen kleinen Blick riskieren wollte.
Immerhin war sie in der Lage gewesen, seine Gefühle zu empfangen. Seltsam euphorisch, ja geradezu aufgekratzt, wie die Menschen nach zu viel Champagner, und dann wieder voller Unsicherheit und von seltsamer Furcht erfüllt, irgendetwas falsch anzufangen.
Bezog sich das etwa auf den Unterricht? Das konnte sich Alisa nicht vorstellen. So furchteinflößend waren die Dracas, die sie unterrichteten, gar nicht. Da hatten sie in Rom Schlimmeres erlebt. Noch dazu war Sören kein ängstlicher Typ. Nicht wie Raymond, der sicher vor jedem Professor ein wenig Furcht verspürte. Was also hatte es mit Sörens Stimmungen auf sich?
Neugierig versuchte Alisa noch ein wenig tiefer zu dringen, um wenigstens ein paar seiner Gedanken aufzufangen, doch da sprang Sören auf und griff sich an den Kopf. Verwirrt sah er sich um.
»Was ist los?«, erkundigte sich Alisa harmlos.
»Ich weiß nicht. Ein ganz seltsames Gefühl in meinem Kopf, als ob etwas mit Gewalt durch meinen Schädel dringen wollte.«
Aha, sie musste in Zukunft behutsamer vorgehen. Laut sagte sie: »Ja, das ist wirklich komisch.«
Sören sah sich noch einmal misstrauisch um. »Also wenn ein Dracas hier im Salon wäre, dann würde ich sagen …« Er brach ab, sah Alisa noch einmal an und schüttelte dann den Kopf. »Nein, vergiss es. Ist nicht so wichtig.« Und damit erhob er sich und eilte hinaus.
Nun machte sich Alisa noch einmal auf die Suche nach ihrem Vetter, um ihm die wundervolle Nachricht zu überbringen, dass Leo eingewilligt hatte, auch ihn in die großen Geheimnisse der Dracas einzuweihen.
Er war nicht zu finden. Wo konnte er sich nur herumtreiben? Sie lief treppauf und treppab, erkundigte sich bei Hindrik, als sie ihn im unteren Geschoss in einer der Wäschekammern zusammen mit Matthias antraf, der dafür sorgte, dass Franz Leopolds Fräcke aufgefrischt und die Hemden ordentlich gebügelt wurden.
»Ist er ausgegangen?«, fragte Alisa ratlos.
Hindrik schüttelte den Kopf und lächelte versonnen. »Nicht dass ich wüsste. Lass es einfach. Du wirst ihn nachher treffen, sobald die Dracas zu Tisch läuten.«
Doch wenn sich Alisa etwas in den Kopf gesetzt hatte, gab sie nicht so leicht auf. Es erstaunte sie allerdings schon, als sie seine Stimme aus einer Kammer im Dachgeschoss zu hören glaubte, in der nur ein paar Kleider der Gäste gelagert wurden. Vielleicht hatte sie sich geirrt?
Alisa trat näher. Nein, das war seine Stimme und sie konnte ihn jetzt auch wittern. Aber warum klang sie so anders als sonst? Weicher, tiefer, fast wie ein Gurren? Mit wem sprach er da drin? Etwa mit irgendeiner Servientin der Dracas, die für die Kleider sorgte?
Alisa stand nun vor der geschlossenen Tür. Noch einmal witterte sie. Das roch nach einem Nosferas - und zwar weder nach Luciano noch nach seinem Vetter. Nein, das war eine weibliche Note, die nur von …
Nun hörte sie die Stimme der Vampirin, die ihrem Vetter antwortete. Die Worte konnte sie allerdings nicht verstehen. Es war nur ein Raunen, ein heiseres Flüstern und dann ein unterdrücktes Kichern.
Was um alles in der Welt …?
Vorsichtig schob Alisa die Tür ein Stück auf und
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