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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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verschloss. Die Frage war berechtigt. Auch Seymour hatte sie ihr gestellt, aber noch scheute sie sich, sie zu beantworten.
    Warum drängte es sie, das Phantom so bald wie nur möglich wiederzusehen? Hatte sie Mitleid mit seiner Einsamkeit? Seiner verletzten Seele? Mitleid mit dem Wesen, das sein Leben lang von den Menschen verspottet und gedemütigt, zur Schau gestellt und geschlagen, verfolgt und bedroht worden war, weil es anders war als sie. Hässlich. Furcht einflößend.
    Nein, das war nicht der Grund. Was dann?
    Weil sie ihn bewunderte, seine Talente, sein Wissen und mehr über ihn erfahren wollte? Weil sein facettenreiches Wesen, das nicht ganz Mensch war, sondern auch ein wenig wildes Tier, sie anzog?
    Vielleicht traf alles davon zu, doch musste sie sich darüber Rechenschaft ablegen? Konnte sie nicht einfach dem Verlangen nachgeben
und zu ihm gehen? Was Seymour dazu zu sagen hatte, wusste sie, denn er hatte nicht mit Vorhaltungen gespart, seit sie den Entschluss gefasst hatte, Erik wieder aufzusuchen. Die Quintessenz seiner Vorwürfe war, dass sie sich völlig unnötig in Gefahr begab. Unnötig? Ja, es war nicht nötig, Erik zu besuchen. Aber Ivy wollte es und sie würde sich nicht aufhalten lassen!
    »Wirst du mir deine Schlüssel geben?«
    Alisa seufzte. »Kann ich denn anders? Wir sind Freunde.« Sie zog den Ring mit ihrem Werkzeug aus der Gürteltasche und reichte ihn Ivy. »Aber du musst Erik fragen, ob wir das nächste Mal mitkommen dürfen. Ich bin ja so neugierig darauf, ihn näher kennenzulernen.«
    »Ich verspreche es. Erik soll uns in die Oper führen. Es wäre eine Schande, wenn wir Paris verließen, ohne einmal dort gewesen zu sein.«
    »Das hört sich gut an«, meinte Alisa halbwegs versöhnt. »Dann mach, dass du fortkommst, und pass auf dich auf.«
    Ivy drückte Alisa dankbar die Hand. »Ich bin rechtzeitig vor Sonnenaufgang zurück in meinem Sarg.«
    »Das will ich dir auch geraten haben«, brummte die Vamalia. »Sonst hetze ich dir Hindrik auf den Hals. Der ist nicht so nachlässig wie Bridget und Niall und würde sich wie ein Bluthund an deine Fersen heften.«
    »Ich werde es mir merken«, sagte Ivy und huschte bei der nächsten Kreuzung unbemerkt durch einen anderen Gang davon.

    »Können wir heute Abend nicht einmal gemeinsam ausgehen? Du kannst mir deinen Freund ruhig vorstellen. So schlimm wird er nicht sein, wenn er Gnade vor deinen Augen findet, Onkel Carmelo!«
    Carmelo sah von seinem Essen auf. Latona wusste nicht, wie sie seine Miene deuten sollte, erfreut war er von ihrem Vorschlag jedenfalls ganz und gar nicht. Dennoch fügte sie hinzu, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen. »Wir wollten uns doch zusammen La Grande-Duchesse de Gérolstein von Offenbach ansehen. Das hast du
versprochen. Und in eine der Tanzhallen wolltest du mich auch mitnehmen. Und behaupte nun nicht, die seien nichts für anständige Mädchen, denn du selbst hast gesagt, es gäbe am Fuß des Montmartre durchaus auch Häuser, in die du mich guten Gewissens mitnehmen könntest.«
    »Das habe ich gesagt?« Ihr Onkel fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut, und sie sah ihm an, dass er nach einem Ausweg suchte, sie hinzuhalten. »Es geht nicht, Latona. Ich habe heute schon etwas vor und die nächsten zwei Abende wird es sicher auch nichts, aber dann, ich verspreche dir, dann werden wir ausgehen. Sei ein braves Mädchen und gedulde dich.«
    Sie hätte am liebsten ihre Serviette zerknüllt und auf den Tisch geworfen, ihn angebrüllt, sie habe es satt, und er solle ihr endlich sagen, was gespielt würde, doch das getraute sie sich in dem vornehmen Restaurant, in das er sie geführt hatte, nicht. Also schluckte sie ihren Ärger wieder einmal hinunter und gab ihm in Gedanken eine allerletzte Chance. Gut, drei Nächte würde sie noch warten, wenn sich dann nichts änderte, würde sie zu anderen Mitteln greifen müssen. Welche diese sein würden, wusste sie noch nicht so genau, aber ihr würde schon etwas einfallen.
    »Nun gut«, sagte sie so würdevoll wie möglich. »Dann geh mit deinem Freund in die Etablissements, in denen Mädchen wie ich keinen Zutritt haben, während ich mich wieder auf einen ach so spannenden Abend alleine mit einem Buch freue.«
    Sie merkte selbst, wie kindisch ihr Trotz klang, aber nun war es schon gesagt. Ihr Onkel schwankte sichtlich zwischen Tadel und dem Versuch, sie zu trösten, entschied sich dann aber, sie zurechtzuweisen. Latona nahm es schweigend hin und sagte bis zum Ende des Mahls

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