Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
Vom Netzwerk:
schwach war oder Ivy zu stark? Ivy sah auf ihren Armreif aus grünem Marmor hinab. Noch konnte sie ihm widerstehen. Bang stellte sie sich die Frage: Wie lange noch? Mit jedem Tag schwand die Kraft ihres Landes, die sie stärkte. Und der Meister wusste es. Dies war nur ein Test gewesen, um zu erspüren, wie mächtig der Schutz noch war. Die Zeit arbeitete für ihn. Er musste nur warten …

    »Das gibt es doch gar nicht!«, rief Luciano nun schon zum dritten Mal und warf die Arme in die Luft. Er hatte wieder eine Runde durch die große Halle und die anschließenden Kavernen beendet, um sich zu versichern, dass Ivy und Seymour tatsächlich noch immer nicht zurück waren.
    »Doch, das gibt es. Sie hat sich wieder einmal davongemacht,
ohne auch nur einem ihrer Freunde Bescheid zu sagen. Wohin sie gegangen ist, das können wir nur ahnen. Ich tippe auf ihren neuen Phantomfreund Erik.«
    »Äh, ganz so stimmt das nicht«, wagte Alisa einzuwenden.
    »Was stimmt nicht?«, riefen die beiden Jungen.
    »Sie hat es mir gesagt, wollte mich aber nicht mitnehmen. Ich habe ihr meine Schlüssel überlassen.«
    »Und wann wolltest du uns davon erzählen?«, verlangte Franz Leopold zu wissen.
    »Eigentlich gar nicht«, gab Alisa kleinlaut zu. »Ich weiß nicht, ob es Ivy recht ist.«
    »Das ist doch die Höhe!«, ereiferte sich Luciano. »Dir hat sie es gesagt und uns nicht? Die Mädchen halten wieder einmal zusammen und schließen uns aus. Das ist einfach nur ungerecht.«
    »Damit hat das weniger zu tun«, widersprach Alisa. »Wenn du die Schlüssel gehabt hättest, wäre sie zu dir gekommen.«
    Das schien Luciano ein wenig zu besänftigen. Franz Leopold dagegen war nach wie vor verstimmt, auch wenn er es nicht so lautstark zeigte wie Luciano. Alisa warf ihm einen schnellen Blick zu. War er eifersüchtig auf das Phantom, dem Ivy so viel Interesse entgegenbrachte? Dabei hatte er am allerwenigsten ein Recht darauf. Schließlich war er es gewesen, der Ivy und ihre Gefühle zurückgewiesen hatte, nur weil sie keine Lycana reinen Blutes war.
    Franz Leopolds Stimme riss sie aus ihren Überlegungen. »Alisa, es wäre mir sehr lieb, wenn du aufhören könntest, dir Gedanken über die Gemütslage anderer zu machen und dich in solch absurde Vermutungen zu versteigen.« Damit wandte er sich ab und schritt davon. Luciano sah ihm irritiert nach. »Der hat ja wieder eine Laune.« Er zog grübelnd die Stirn in Falten. »Weißt du was? Ich glaube, er ist noch immer in Ivy verliebt, ist aber zu hochmütig, um zu akzeptieren, dass sie nichts mehr von ihm wissen will. Dabei sollte er froh sein, dass sie ihn überhaupt noch in ihrer Nähe duldet!«
    Noch ein eifersüchtiger Kerl , dachte Alisa und schüttelte ein wenig genervt den Kopf. Na, hoffentlich kam Ivy bald zurück. Wenigstens mit ihr konnte man noch vernünftig reden.

DER ZAUBER DER MUSIK
    »Miss Latona, es tut mir aufrichtig leid, doch ich habe Ihre Nachricht erst spät in der Nacht erhalten, als ich mit meinem Freund Oscar ins Hotel zurückkehrte. Aber wir können morgen in die Oper gehen, wenn Sie möchten.«
    Latona verzieh ihm gnädig, obwohl sie sich am Abend zuvor, während sie stundenlang auf eine Nachricht wartete, geschworen hatte, diesem treulosen Bram Stoker nicht einmal mehr einen Blick zu gönnen. Nun ging sie neben ihm her durch die Cité, die Insel inmitten der Seine, die einst das Zentrum des mittelalterlichen Paris gewesen war. Sie hielten auf dem weitläufigen Platz vor der Kathedrale Notre-Dame an und sahen zu den beiden quadratischen Türmen auf, wo der bucklige Glöckner gehaust hatte - wenn man Hugos Roman Glauben schenken wollte. Latona versuchte, sich vorzustellen, wie die Cité früher ausgesehen haben mochte, zu der Zeit, als Victor Hugo, aber auch Eugène Sue ihre Romane geschrieben hatten. Bevor Baron Haussmann die Abrisskommandos losschickte und die dicht an dicht gebauten, heruntergekommenen Häuser dem Erdboden gleichmachen ließ. Die schmutzigen, engen Gassen verschwanden, die zwielichtigen Menschen und die schummrigen Spelunken. Stattdessen waren in den vergangenen zehn Jahren riesige Plätze entstanden und Bauten, die sich groß, modern und Respekt einflößend auf der Insel erhoben, die aber kein Leben mehr in sich trugen: die Präfektur der Polizei, die Kaserne und der Justizpalast, der die alte Königsburg mit ihren Rundtürmen in sich aufgenommen hatte.
    Latona fragte sich, wie viele Menschen ihre Wohnungen verloren hatten und von der Insel vertrieben

Weitere Kostenlose Bücher