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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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und sah in sein schönes Gesicht. Die Fragen waren so absurd, dass sie gar nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte.
    »War die Maske denn nicht für mich?«, stieß sie ungläubig hervor.
    Er lächelte. Gut sah er aus in seinem Frack. Sein Haar schimmerte im Gaslicht rötlicher, als sie es von den mondhellen Nächten Roms in Erinnerung hatte. Ganz blass waren ein paar Sommersprossen auf seiner Nase zu sehen, die ihn fast menschlich erscheinen ließen.
    »Natürlich war sie eine Botschaft an dich. Ich habe dich in jener Nacht gesehen, aber du warst nicht allein.«
    »Also doch!«, rief Latona. »Ich glaubte, ich würde langsam verrückt.«
    »Man soll seinen Sinnen nicht misstrauen. Gerade du nicht. Aber sag mir, warum hast du mir keine Nachricht hinterlassen, wo ich dich finden kann?« Der Schmerz in seiner Stimme überraschte sie noch mehr als seine Worte.
    »Eine Nachricht?«
    »Ja, ich war wieder dort und habe jeden Fleck abgesucht. Nichts, kein Hinweis, wie ich zu dir gelangen kann. Muss ich daraus nicht schließen, dass du nicht gefunden werden willst?«
    »Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, ich müsste dir aufschreiben, wo ich wohne«, verteidigte sich Latona. »Du bist ein Vampir!«
    Malcolm lachte leise. »Ah, ich sehe, unser Ruf hat uns mächtiger gemacht, als wir sind. Nein, leider war es mir nicht möglich, deiner Fährte durch ganz Paris zu folgen. Sie war schon zu sehr verblasst und von unzähligen Menschen gekreuzt worden.«
    »Du hättest mir als Fledermaus folgen können, als du mich mit Mr Stoker und Mr Wilde im Park gesehen hast«, schlug Latona vor.

    Wieder lachte der junge Vampir. »Ja, vielleicht hätte ich es versuchen sollen, doch ich muss dir gestehen, mit den Verwandlungen ist es nicht so einfach. Einen Wolf hätte ich vermutlich geschafft, aber eine Fledermaus?« Es schien ihm ein wenig peinlich zu sein, das zugeben zu müssen.
    »Ein Wolf wäre nicht sehr praktisch gewesen«, gab Latona zu und schmunzelte bei der Vorstellung, welchen Aufruhr er so in den Straßen von Paris verursacht hätte. Jetzt lachten sie beide. Die Anspannung war verflogen. Latona umfasste seinen Arm und zog ihn auf den Sessel neben sich.
    »Erzähl mir alles! Wie ist es dir das vergangene Jahr über ergangen? Was hast du alles erlebt? Und wie kommst du nach Paris?«
    »Die Frage kann ich genauso gut dir stellen. Ich wähnte dich in einem Zug ans Ende der Welt und für immer verloren und nun bist du hier in der Oper.«
    Er nahm ihre Hände und drückte sie leicht. Die kalte Haut ließ sie schaudern, doch es war ein wohliges Gefühl, das wie Champagner kribbelte: verheißungsvoll und ein wenig bitter.
    »Ans Ende der Welt wollten sie uns wirklich schicken«, bestätigte Latona und zog ein wenig die Schultern hoch, als die Erinnerung dieser dramatischen Nacht zurückkehrte. »Sibirien war seine Bestimmung, aber es gelang uns, den Zug zu verlassen, lange bevor er sein Ziel erreichte. Onkel Carmelo beschloss, dass wir unser Glück weiter im Süden versuchen sollten, und so kamen wir bis Persien.« Malcolm staunte. »Ja, wir sind in diesen eineinhalb Jahren viel herumgekommen, bis uns die Sehnsucht wieder ins alte Europa trieb. Und du?«
    Malcolm sprach von Irland und Hamburg, das sie überstürzt hatten verlassen müssen, um nun das Jahr in Paris zu verbringen. Seine Worte klangen in ihren Ohren noch schöner als Verdis Arien. Sie konnte ihren Blick nicht von ihm wenden. Ihre Hände hatten sich ineinander verschränkt und hielten sich fest, als müssten sie verhindern, dass sich einer von ihnen plötzlich in Luft auflöste.
    Malcolm legte den Arm um ihre Schulter. Er zog ihren Körper näher heran. Erst jetzt merkte sie, dass er aufgehört hatte, von Irland zu erzählen. Sie war seinem Gesicht plötzlich sehr nahe. Sein Blick hielt
sie fest, drang in sie ein, liebkoste und schmerzte gleichermaßen. Latona konnte gar nicht anders, als sich vorzubeugen, bis sein kühler Atem über ihre Wange strich. Sie erkannte den Geruch wieder, und es war ihr, als sei sie von einer langen Reise heimgekehrt.
    Ganz leicht streiften seine Lippen ihre Haut, so als wollte er prüfen, ob sie vor ihm zurückzuckte. Doch Latona presste sich gegen ihn. Den ersten Kuss hatte er ihr als Lohn für einen Dienst abgerungen, diesen bot sie ihm freiwillig an. Nein, sie forderte ihn gar! Malcolm umfasste sie noch fester, dass sie seinen sehnigen Körper spürte.
    Konnte allein der Geschmack seiner Lippen sie so berauschen? Oder war es

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