Die Erben der Nacht - Pyras
Opfer sinken und wandte sich zu Latona um. Sein Gesicht sah grauenhaft aus, blutverschmiert wie es war. In seinem Blick glitzerte der Wahnsinn, doch als er sprach, klang seine nun nicht mehr kratzige Stimme ruhig.
»Ich habe gar nichts versprochen. Erinnere dich! Ich sagte nur, ich würde meiner Befreierin einen Eid abgelegt haben, sie zu verschonen, nicht mehr. Willst du mich wirklich daran hindern, mir meine Kraft von denen zurückzuholen, die sie mir genommen haben?«
Was sollte sie darauf sagen? Latona schwieg und ließ die Faust sinken. Der Mann zappelte unbeachtet im Griff des Vampirs. Eine Blutspur rann aus zwei Löchern in seinem Hals und verschwand in seinem Kragen, der sich von weiß zu rot färbte. Der Vampir achtete weder auf sein Opfer noch auf Latona. Sein Blick fixierte etwas hinter ihrem Rücken. Seine Augen wurden schmal.
Latona fuhr herum. Für einen Moment kreuzte sich ihr Blick mit dem ihres Onkels, der zwei lange, spitze Stangen in den Händen hielt, die gefährlich silbrig im Licht ihrer Lampe schimmerten.
»Onkel Carmelo«, hauchte Latona.
»Gibt es etwas, das ich über ihn wissen müsste?«, fragte Seigneur Thibaut leise.
Latona nickte. »Er ist ein Vampirjäger. Und er ist gut.«
Der Vampir zog eine Grimasse. »So etwas in der Art schwante mir bereits. Mir war klar, zu den Wissenschaftlern gehört er nicht. Er ist ein Jäger. Und für uns wird es nun Zeit zu gehen. Er ließ sein Opfer achtlos zu Boden fallen. Sein Arm schnellte nach vorn und umschloss Latonas Taille. Sie war so entsetzt, dass sie nicht einmal schreien konnte. Der Knoblauch! Warum konnte der verdammte Knoblauch sie nicht schützen?
Seigneur Thibaut schien ihre Gedanken zu lesen, denn er raunte ihr ins Ohr. »Du hast ihn leider verloren.«
Latona erhaschte einen Blick auf den Knoblauchzopf, der nutzlos auf der Schwelle der offenen Tür lag, dann schlug ihr der Vampir die Lampe aus der Hand. Sie zerbrach auf dem Steinboden und erlosch.
»Und nun lass uns zusehen, dass wir diesen ungastlichen Ort verlassen!«
Latonas Füße verloren den Kontakt zum Boden. Er hob sie so mühelos an wie eine Puppe und klemmte sie unter seinen Arm, dass ihr die Luft aus der Lunge gepresst wurde und sie nicht einmal schreien konnte.
»Nein, mein Herr Vampirjäger, heute bekommst du mich nicht«, hörte sie ihn murmeln. Dann spürte sie, wie er einen Körper zur Seite stieß. Der Protestruf ihres Onkels hing noch in der Luft, als sie den Ausgang erreichten und in den erleuchteten Gang dahinter eintauchten. Die schwere Stahltür fiel hinter ihnen ins Schloss, das Verbotsschild rutschte aus seiner Halterung. Und schon waren sie an der Treppe. Der Vampir nahm drei Stufen auf einmal. Erstaunlich. Welche Fähigkeiten er im Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte haben mochte, wollte sich Latona lieber nicht ausmalen. Sie musste sich im Augenblick alleine auf das Atmen konzentrieren, denn noch immer presste er sie an sich, als habe er sie in einen Schraubstock gespannt.
Seigneur Thibaut lief einen weiteren Korridor entlang, der auf der einen Seite Fenster besaß, die auf einen Hof hinausgingen. Am Ende war eine Tür, vermutlich verschlossen, aber das konnte den Vampir nicht aufhalten. Er warf sich mit der Schulter dagegen, dass sie splitternd aus dem Rahmen brach. Mit einem riesigen Satz waren sie draußen. Die kalte, feuchte Luft einer Novembernacht hüllte sie ein. Latona kämpfte gegen den Druck auf ihrer Brust und brach in keuchenden Husten aus. Vielleicht bemerkte Seigneur Thibaut erst jetzt, dass er sie beinahe erstickte. Der Druck ließ nach und dann spürte sie Pflastersteine unter ihren Füßen. Sie keuchte und wankte, doch er hielt sie am Oberarm fest, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte.
»Wie willst du hier herauskommen?«, stieß sie zwischen den schnappenden Atemzügen hervor. »Die Mauer ist hoch und es gibt einen Wachmann.«
Der Vampir lachte. »Weder Mauern noch Wachmänner sind mir ein Hindernis. Dennoch werden wir einen anderen Weg nehmen.«
»Wir?«, wiederholte Latona zaghaft.
»Ja, wir. Du möchtest diesen ungemütlichen Ort doch sicher auch verlassen? Oder ist es dir lieber, dich dem Wachmann erklären zu müssen und womöglich von ihm festgehalten zu werden?«
Sie wagte nicht zu entgegnen, dass es ihr weniger gefährlich erschien, sich mit einem Wachmann anzulegen als weiter in der Gesellschaft des Vampirs zu verweilen. Da griff er schon nach ihrer Hand und zog sie mit sich. Der Griff kam ihr weniger
Weitere Kostenlose Bücher