Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
geschlagen hatten. Heute schloss sich hier das Embankment mit seiner breiten Straße an.
» 1824«, korrigierte der Vampir. » Und vermutlich wäre das Fieber wirklich mein Ende gewesen, wenn ich nicht eine Möglichkeit gefunden hätte, dem Tod zu entrinnen.«
» Das hört sich ja so an, als hätten Sie sich freiwillig zum Vampir wandeln lassen!«, rief Clarissa ungläubig.
» Ja, so ist es. Warum erstaunt Sie das so, mein Fräulein?«
Clarissa schüttelte den Kopf. » Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass man aus freiem Willen das nächtliche Dasein eines Blutsaugers wählen würde.«
Lord Byron blieb stehen und überlegte. » Nein? Ich finde, dass sich meine Nächte nicht allzu sehr von denen unterscheiden, als ich noch lebte, nur dass die Mahlzeiten mit ihrer Auswahl der Speisen– sagen wir– sehr viel eingeschränkter sind. Wir lebten schon damals die Nächte aus, als gäbe es keinen Morgen. Nun, den gab es dann auch nur für die, die auf die Jagd reiten wollten. Die meisten verließen ihre Betten erst nach der Mittagsstunde, wenn sie ihren Rausch ausgeschlafen hatten. Generationen des Adels und des neuen Geldes haben so ihr Leben mit Nichtstun verschwendet. Der Schweiß der Arbeit war für den Pöbel reserviert, mit dem wir nichts zu tun hatten. Wir lebten schon damals in unseren Kreisen mehr nachts als bei Tag, feierten und flirteten, spielten und tranken, tafelten und tanzten. Bis auf das Tanzen war ich stets mit von der Partie.«
» Sie tanzen nicht?«, rief Clarissa, die sich an ihren Walzer mit Luciano in Wien erinnerte. In der Nacht, die so traurig für sie begonnen hatte, als all die Erben ohne sie zum Hofball gingen, und dann dieses Gefühl von Glück, als er zurückkehrte, um sich mit ihr im Walzer zu drehen.
» Nein«, gab Lord Byron ein wenig schroff zurück. » Damals nicht.«
Clarissa erinnerte sich, etwas von einem Klumpfuß gelesen zu haben. Unwillkürlich huschte ihr Blick zu den makellosen Stulpenstiefeln herab, in denen er ohne jedes Hinken neben ihr herschlenderte. Das Aufblitzen in seinen Augen verriet ihr, dass er um ihre Gedanken wusste. Peinlich berührt stotterte sie eine Entschuldigung, doch er brachte sie zum Schweigen.
» Sie haben ja recht. Es war dieser vermaledeite Fuß, der mich vom Tanzparkett fernhielt, wo ich keine elegante Figur hätte abgeben können. Aber dafür bin ich geritten wie der Teufel, dass versichere ich Ihnen.«
» Und jetzt behindert er Sie nicht mehr? Dabei dachte ich, wenn man gewandelt wird…« Clarissa brach ab.
» Dann bleibt man Nacht für Nacht so wie am Tag seines Todes?«, ergänzte Lord Byron. » Ja, das ist schon richtig. Man wird sein Gebrechen dadurch nicht los, doch man gewinnt mit jedem Jahr mehr an Kraft und Geschicklichkeit und bewegt sich schneller und leichter, ohne Schmerz und ohne je zu ermüden. Das kann man sich als Mensch gar nicht vorstellen.«
Clarissa lächelte ihn an. » Sie geraten ja richtig ins Schwärmen, Lord Byron. Man würde nicht darauf kommen, dass Sie von dem Dasein eines Vampirs sprechen.«
Der Dichter runzelte die Stirn. » Nein? Warum nicht?«
» Es sind verfluchte Wesen, die Blut trinken!«
Das Argument wollte er nicht gelten lassen. » Was ist schon verflucht? Die armen Teufel, die sich Menschen nennen, aber unter menschenunwürdigen Bedingungen in Fabriken oder winzigen Kammern daheim, im Hafen oder auf der Straße Tag für Tag schuften, um den Hunger zu besiegen und ihn dann doch lieber in Gin ertränken, das nenne ich verflucht und von Gott verlassen! Ich fühle mich in meinem neuen Körper einfach nur prächtig.«
Darüber musste Clarissa nachdenken. Nach einer Weile warf sie ein: » Aber Sie sind jetzt nur noch ein Servient, ein Unreiner, der unter den Vyrad reinen Blutes steht. Stört Sie das nicht? Sie waren ein Lord, ein Aristokrat mit einer langen Linie vornehmer und mächtiger Ahnen, der sich in den obersten Kreisen bewegte und sich von einer Dienerschar umsorgen ließ.«
» Diener habe ich jetzt auch«, versicherte er der erstaunten Clarissa, » und es behandelt mich jeder mit dem Respekt, der mir zusteht. Ich war nicht, ich bin ein Lord und ein Aristokrat mit einer langen Linie vornehmer und mächtiger Ahnen!«
Clarissa starrte ihn ein wenig ungläubig an. Aber warum sollte er sie anlügen? » Wussten Sie denn Bescheid darüber, worauf Sie sich einlassen? Ich meine, als Sie sich beißen und zum Vampir wandeln ließen?«
Der Dichter überlegte. » Soweit man als Mensch in der Lage
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