Die Erben
zwei Uhr morgens, als ich aus der Scheune stolperte, um frische Luft zu schnappen. Im Inneren steuerte die Party langsam ihren Höhepunkt an, was allein an den Jubelrufen und lauten Gesängen zu erkennen war.
„Frische Luft?“, fragte jemand. Ich wandte mich zur Seite und erkannte Sarah, die ebenfalls durch die kleine Seitentür ins Freie stieg.
„Ja“, war meine knappe Antwort.
Sie blieb neben mir stehen und hielt eine Sektflasche und zwei Gläser hoch.
„Interesse?“
Ich zuckte mit den Schultern und Sarah deutete mir, ihr zu folgen. Sie ging um die Scheune herum zu einem kleinen Anbau und hielt mir die Tür offen.
„Da drin ist es nicht so kalt, wie hier draußen“, erklärte sie auf meinen fragenden Blick hin.
In dem kleinen Raum war es stockdunkel. Während Sarah eine Laterne entflammte, ließ ich mich auf einer der verstaubten Holzkisten nieder, die auf dem Boden standen.
Sarah setzte sich neben mich, goss Sekt in die Gläser und reichte mir eins.
„Prost“, murmelte ich und stürzte das süße Gesöff hinunter.
„Prost“, entgegnete Sarah und leerte ihr Glas ebenfalls in einem Zug, allerdings mit einem Hauch mehr Würde.
Unschlüssig starrte ich vor mich hin, dann wandte sich Sarah plötzlich abrupt zu mir.
„Du fragst dich sicher, was du hier sollst?“
Ich verzog den Mund, bevor ich antwortete. „Schon.“
Sarah nickte. „Ich war nicht gerade freundlich zu dir bisher.“
Meine linke Augenbraue schoss nach oben. „Du warst ein Biest. Besonders zu meinen Freunden.“
„Deine Freunde?“, wunderte sie sich und füllte ihr Glas wieder. „Ach so, ja. Die Tochter des Chiefs und Sanders.“
„Joe und Ava“, korrigierte ich barsch. „Und ich kann auch wieder gehen.“
Sarah schnaufte und schüttete mir unaufgefordert Sekt nach. „Beruhig‘ dich“, meinte sie schwerfällig. „Wenn ich jemanden verletzt haben sollte, dann tut mir das Leid.“
Ich entgegnete nichts, sondern kippte stumm das nächste Glas hinunter.
Sarah lehnte sich zurück und musterte mich. „Ich kann nicht viel mit Leuten wie Ava und Joe anfangen. Aber das beruht auf Gegenseitigkeit. Unsere Ansichten sind einfach zu verschieden.“
„Und bei mir soll das anders sein?“, wunderte ich mich und Sarah ließ die Schultern hängen.
„In gewisser Hinsicht wohl schon“, meinte sie schließlich. „Du und ich haben nicht viel gemeinsam und besonders gut leiden können wir uns wohl auch nicht. Aber da gibt es eben diese eine Sache-“ Sie hob den Zeigefinger hoch. „-die uns verbindet, ob wir wollen oder nicht.“
„Und was soll das sein?“, fragte ich.
Wortlos hob Sarah ihr Glas, doch bevor sie einen weiteren Schluck nahm, senkte sie es wieder.
„Wir Beide gehören zu den
Erben
.“
Ich starrte Sarah ungläubig an. Als meine Augen zu tränen begannen, blinzelte ich ein paar Mal und schüttelte den Kopf.
Schließlich starrte ich sie wieder an.
„Du hast doch von den
Erben
gehört, oder?“, fragte sie verwundert. „Schließlich haben deine Großeltern das Tagebuch von Eliza gefunden.“
In meinem Kopf formten sich um die zwölf Sätze gleichzeitig. „Woher weißt du das?“, spuckte ich schließlich aus.
„Theodor Wyatt hat es mir erzählt“, erklärte Sarah und erzielte damit nicht den gewünschten Effekt. „Der Antiquar, dem sie das Buch verkaufen wollten.“
Ich atmete scharf ein und stieß die Luft wieder aus. „Und woher weißt du
das
?“
„Vielleicht sollte ich anders anfangen“, beschloss Sarah schließlich und ich wedelte unwirsch mit der Hand herum.
„Wäre sinnvoll“, stimmte ich ihr zu.
Sie hob ihr Glas und leerte es, als wolle sie sich Mut machen. Oder Zeit schinden. „Vor etwa einem halben Jahr habe ich gemerkt, dass etwas mit mir nicht stimmt.“
Ich sparte mir einen sarkastischen Kommentar und blieb still.
„Meine Fähigkeit ist es, Gedanken zu lesen“, fuhr sie fort. „Wenn ich jemanden berühre, dann höre ich, was derjenige denkt. Das heißt, ich denke es in diesem Moment auch, aber ich spüre, dass es nicht meine eigenen Gedanken sind.“ Sie stockte.
„Ach, es ist schwer zu erklären“, winkte sie dann ab. „Jedenfalls hat es so angefangen. Am Anfang dachte ich, ich wäre verrückt geworden. Schizophrenie oder irgendeine andere psychische Krankheit. Irgendwann bin ich über den Namen Theodor Wyatt gestoßen, als ich meine Mutter berührt hatte. Der Gedanke hatte einen bitteren Nachgeschmack, was mich heute nicht mehr verwundert, immerhin hat dieser
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