Die Erben
sondern schaute mich mit ihren eisblauen Augen abwartend an.
„Bei was brauchst du meine Hilfe?“, stöhnte ich schließlich.
„Du musst Simon davon überzeugen, dass ich nicht verrückt bin.“
Ich verzog das Gesicht. „Das wird schwierig“, entgegnete ich mit einem übertrieben gequälten Ausdruck. „Weil für so ganz normal halte ich dich auch nicht.“
„Ich meine das ernst“, sagte Sarah und ihr Ausdruck wurde eine Spur härter. „Ich habe Simon vor etwas mehr als einer Woche erzählt, was mit mir los ist und er hat darauf nicht gerade gut reagiert.“
Meine Stirn legte sich in Falten. „Was meinst du damit?“
„Er hat Panik bekommen“, erklärte sie und zuckte die Schultern. „Er hat ohne mein Wissen unseren Arzt kommen lassen und der hat mir Pillen verschrieben, von denen ich vier Tage nur apathisch in meinem Bett lag.“
Mein Mund stand offen vor Schock. Immerhin wusste ich nun, warum Sarah in der Schule gefehlt hatte. „Dein Bruder hat dir einen Psychodoc auf den Hals gehetzt und Psychopharmaka eingeflößt, weil er glaubt, du seist-“ Ich drehte den Finger neben meiner Schläfe und schielte.
„Er hatte keine bösen Absichten“, verteidigte Sarah ihn sofort und sah mich eindringlich an. „Du kennst ihn nicht, du kennst unsere Familie nicht. Er hatte guten Grund zu glauben, ich sei krank. Wie du dich vielleicht erinnerst, habe ich selbst das am Anfang auch geglaubt. Er macht sich einfach nur Sorgen und wusste sich nicht anders zu helfen, als einen Arzt um Rat zu bitten.“
„Und wie soll
ich
dir da jetzt helfen?“, warf ich ein und malte mir bereits aus, wie Simon seine Schwester und mich gemeinsam einliefern ließ.
Hoffentlich würden wir wenigstens in getrennten Abteilungen landen.
„Du musst mit mir zusammen mit ihm reden“, erklärte Sarah. „Wenn wir ihm gemeinsam erklären, was los ist, dann glaubt er es vielleicht. Und dann ist er hoffentlich auch bereit herauszufinden, welche Fähigkeit er besitzt. Ich gebe zu, ich hatte gehofft, dein Bruder würde auch Anzeichen zeigen. Wenn er mit Simon hätte reden können, wäre das schon besser, aber jetzt muss es eben so gehen.“
Sarah hatte nicht gerade ein Talent dazu, andere um Hilfe zu bitten, ohne sie trotzdem zu kritisieren.
Doch ich ersparte es mir, sie drauf hinzuweisen.
Auch wenn sie kühl und sachlich wie immer wirkte, zitterte ihre Hand kaum merklich.
Vermutlich fiel ihr das hier schwerer, als sie zugab.
„Ich glaube nicht, dass es so einfach wird, Simon zu überzeugen“, gab ich zu bedenken. „Der Kerl muss doch irrsinnigen Schiss vor der Sache haben. Wenn meinem Bruder so etwas passiert wäre, hätte ich ihm nie-“
„Lyn“, unterbrach Sarah mich harsch. „Du kennst unsere Familie nicht, okay? Du kennst selbst Simon kaum. Also urteile nicht darüber, was er getan hat. Es ist ihm nicht leicht gefallen, das kannst du mir glauben. Selbst heute Abend, als ich ihm gratuliert habe, hat er sich bei mir entschuldigt. Seit die Wirkung der Tabletten nachlässt, bin ich fast pausenlos damit beschäftigt, ihm zu versichern, dass ich ihn verstehe und ihm nicht böse bin. Also hör auf, ihn zu verurteilen.“
Sarahs Loyalität machte mich sprachlos und ich starrte sie an.
„Hilfst du mir also?“, fragte sie nach einer Weile erneut und ich nickte langsam.
„Gut“, stieß sie aus und stürzte ihren Sekt hinunter, als wäre er Wasser und sie ein Marathonläufer.
„Darf ich auch mal was fragen?“, meinte ich in die Stille hinein.
„Mmh.“
„Du hast damals im
Jackie’s
gewusst, dass Joes Großeltern sein Schulgeld zahlen“, erinnerte ich sie. „Woher wusstest du das? Ich mein, hast du ihn mal berührt und das
gehört
?“
Sarah schüttelte langsam den Kopf. „Nicht ihn, aber Ava“, erklärte sie. „Sie arbeitet in einer Boutique in Gloucester. Ich habe ihre Hand berührt, als ich dort etwas gekauft habe und ihr meine Kreditkarte geben wollte. Eigentlich war es ein Vorwand, um herauszufinden, ob sie etwas von dir und deiner Fähigkeit weiß. Stattdessen habe ich das mit Joe erfahren.“
„Reizend“, kommentierte ich sarkastisch.
Besonders rücksichtsvoll war Sarahs Fähigkeit ja nicht. Ich wollte gar nicht erst wissen, was sie sonst noch von Ava erfahren hatte.
Oder warum sie die Sache mit dem Schulgeld Joe unbedingt auch noch um die Ohren hauen musste.
Unter normalen Umständen hätte ich ihr das wahrscheinlich sogar vorgeworfen.
Doch in diesem Moment verarbeitete mein Kopf so viele
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