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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Lucien. »Es ist extrem wichtig, dass wir Ancil Hubbard finden.« Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie Lonny. »Das ist mein Chef, Jake Brigance. Sie können ihn anrufen und nach mir fragen. Er ist der Hauptanwalt in der Sache.«
    »Und Sie sind auch Anwalt?«, fragte Lonny.
    »Ja. Mir sind nur die Visitenkarten ausgegangen. Ich bin im Glacier Inn in der Third Street abgestiegen.«
    Am späten Nachmittag schloss Herschel Hubbard die Tür zum Haus seines Vaters auf und ging hinein. Wie lange hatte es jetzt leer gestanden? Er blieb stehen und rechnete. Sein Vater hatte am 2. Oktober, einem Sonntag, Selbstmord begangen. Heute war der 2. April, ebenfalls ein Sonntag. Seines Wissens war das Haus seit Letties Entlassung am Tag nach der Beerdigung nicht mehr gereinigt worden. Eine dicke Staubschicht bedeckte Fernsehschrank und Regale. Es roch nach kaltem Rauch und abgestandener Luft. Er betätigte einen Schalter, und das Licht ging an. Soweit er wusste, bezahlte Quince Lundy, der Nachlass verwalter, Strom- und Wasserrechnungen. Die Arbeitsflächen in der Küche waren makellos sauber, der Kühlschrank leer. Ein Wasserhahn tropfte langsam auf einen braunen Fleck in der Porzellanspüle. Er arbeitete sich zum hinteren Teil des Hauses vor. In dem Zimmer, das einmal seins gewesen war, klopfte er den Staub vom Bettüberwurf, streckte sich auf dem Bett aus und starrte an die Decke.
    In den sechs Monaten hatte er das Vermögen im Geiste mehrfach durchgebracht, es einmal nach Lust und Laune aus gegeben, dann wieder durch kluge Investitionen verdoppelt und verdreifacht. Manchmal fühlte er sich als Millionär, dann wieder drohte ihn eine furchtbare Leere zu verschlingen, wenn er fühlte, wie ihm der Reichtum entglitt, bis nichts übrig blieb. Warum hatte der alte Mann das getan? Herschel war willens, Verantwortung für mehr als seinen eigenen Anteil an ihrer schwie rigen Beziehung zu übernehmen, aber er konnte nicht begreifen, warum er völlig leer ausgehen sollte. Er hätte Seth mehr lieben können, aber der hatte nur wenig Liebe zurückgegeben. Er hätte mehr Zeit hier im Haus verbringen können, aber Seth hatte ihn nicht dahaben wollen. Seit wann war ihre Beziehung schiefgelaufen? Wie klein war Herschel gewesen, als er merkte, dass sein Vater kalt und distanziert war? Ein Kind kann keinen Vater für sich gewinnen, der es nicht will.
    Doch Herschel hatte nie gegen seinen Vater aufbegehrt, ihn nie durch offene Rebellion oder Schlimmeres – Sucht, Gefäng nis, ein Leben als Krimineller – bloßgestellt. Er war mit achtzehn bei Seth ausgezogen, um auf eigenen Füßen zu stehen. Dass er sich als Erwachsener nicht um Seth kümmerte, lag daran, dass Seth sich nicht um ihn gekümmert hatte, als er klein gewesen war. Kinder ignorieren von sich aus niemanden, das müssen sie erst lernen. Herschels Lehrer war ein Meister seines Fachs gewesen.
    Hätte das Geld etwas verändert? Was hätte er anders gemacht, wenn er gewusst hätte, wie reich sein Vater war? Verdammt viel, musste er sich schließlich eingestehen. Anfänglich hatte er sich aufs hohe Ross gesetzt und zumindest seiner Mutter gegenüber behauptet, es hätte nichts geändert. Selbstverständlich nicht! Wenn Seth seinen einzigen Sohn nicht wollte, hätte sich dieser Sohn bestimmt nicht aufgedrängt. Aber als die Zeit verstrich und sich die Aussichten in seinem eigenen unglücklichen Leben immer weiter verfinsterten, änderte sich das. Jetzt war ihm klar, dass er da gewesen wäre, im Haus, und sich um seinen lieben alten Vater gekümmert hätte. Er hätte brennendes Interesse am Holz- und Möbelgeschäft gezeigt. Er hätte Seth angefleht, ihn ins Unternehmen einzuführen und als Nachfolger aufzubauen. Er hätte seinen Stolz hinuntergeschluckt und wäre nach Ford County zurückgekehrt, hätte sich irgendwo eingemietet. Und ganz bestimmt hätte er ein Auge auf Lettie Lang gehabt.
    Von einem solch großen Erbe ausgeschlossen zu werden war entsetzlich erniedrigend. Seine Freunde tuschelten hinter seinem Rücken. Seine Feinde freuten sich über sein Pech. Seine Exfrau, die ihn fast so wenig leiden konnte, wie sie Seth verachtet hatte, fand Spaß daran, die furchtbaren, aber wahren Gerüchte in Memphis zu verbreiten. Obwohl ihre Kinder ebenfalls leer ausgingen, hackte sie weiter auf dem armen Herschel herum. In den letzten sechs Monaten war es ihm schwergefallen, sein Geschäft zu führen und sich auf seine Angelegenheiten zu konzentrieren. Rechnungen und Schulden

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