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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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sammelten sich an, seine Mutter zeigte immer weniger Verständnis und Hilfsbereitschaft. Zweimal hatte sie ihn aufgefordert, auszuziehen und sich eine eigene Wohnung zu suchen. Das hätte er gern getan, aber er konnte es sich nicht leisten.
    Sein Schicksal lag nun in den Händen eines gewieften Anwalts namens Wade Lanier, eines übellaunigen alten Richters namens Reuben Atlee und einer zusammengewürfelten Schar zufällig ausgewählter Geschworener aus dem ländlichen Mississippi. Manchmal war er zuversichtlich. Die Gerechtigkeit würde siegen, das Recht über das Unrecht und so weiter. Es war einfach nicht in Ordnung, dass eine Haushälterin, gleich welcher Hautfarbe, in den letzten Jahren eines langen Lebens auftauchte und die Dinge auf diese teuflische Weise manipulierte. Die Fairness war auf seiner Seite. Dann wieder spürte er erneut den unerträglichen Schmerz, alles dahinschwinden zu sehen. Wenn es einmal geschehen war, konnte es wieder passieren.
    Die Wände schienen immer näher zu rücken, die stickige Luft wurde dicker. Es war ein freudloses Zuhause gewesen, mit Eltern, die einander gehasst hatten. Er verfluchte sie eine Zeit lang, beide zu gleichen Teilen, und konzentrierte sich dann auf Seth. Warum hat man Kinder, wenn man sie nicht will? Jahrelang hatte er mit diesen Fragen gerungen, es gab keine Antworten. Er musste loslassen.
    Genug. Er schloss das Haus ab und fuhr nach Clanton, wo er gegen achtzehn Uhr erwartet wurde. Ian und Ramona waren bereits im großen Konferenzraum im ersten Stock der Kanzlei Sullivan. Ihr Spitzen-Geschworenenberater Myron Pankey lobte gerade seine eigene fundierte Recherche, als Herschel eintraf. Einer flüchtigen Begrüßung folgten flüchtige Vorstellungen. Pan key hatte zwei Mitarbeiterinnen dabei, attraktive junge Frauen, die sich Notizen machten. Wade Lanier und Lester Chilcott saßen, flankiert von ihren Assistenten, an der einen Seite des Tisches in der Mitte.
    »Unserer Telefonumfrage zufolge«, erklärte Pankey, »wollte die Hälfte der Befragten wissen, ob Sex im Spiel war, wenn wir sagten, dass das Testament von einem wohlhabenden siebzigjährigen Mann verfasst und die Betreuerin eine wesentlich jüngere, attraktive Frau war. Wir haben Sex nie erwähnt, aber das war oft die automatische Reaktion. Was lief da wirklich? Das Thema Rasse wurde nie angesprochen, aber von den schwarzen Befragten vermuteten achtzig Prozent einen sexuellen Hintergrund. Von den Weißen waren es fünfundfünfzig Prozent.«
    »Die Frage liegt also sehr wohl in der Luft, auch wenn sie nicht ausgesprochen wird«, sagte Lanier.
    Wussten wir das nicht schon vor sechs Monaten?, fragte sich Herschel, während er Kringel auf einen Block malte. Bisher hatten sie Pankey zwei Drittel seines Fünfundsiebzigtausend-Dollar-Honorars bezahlt. Im Augenblick wurde das Geld von Wade Laniers Kanzlei ausgelegt, die alle Prozesskosten übernahm. Ian hatte sich mit zwanzigtausend Dollar beteiligt, Herschel überhaupt nicht. Wenn sie jemals etwas zurückbekamen, würde ein Streit darüber ausbrechen, wer welchen Anteil erhielt.
    Pankey verteilte dicke Mappen als Lesestoff, obwohl sich die Anwälte bereits stundenlang mit dem Material herumgeschlagen hatten. Von Ambrose bis Young war jeder Geschworene auf ein bis zwei Seiten kurz beschrieben. Viele Übersichten enthielten Fotos von Haus und Auto, einige wenige auch Bilder der Geschworenen selbst. Sie stammten aus Mitgliederlisten von Kirchengemeinden und Vereinen oder aus Highschool-Jahrbüchern, manchmal hatten auch Freunde unter der Hand ein Foto weitergegeben.
    »Unser idealer Geschworener ist weiß und über fünfzig. Die jüngeren Leute haben integrierte Schulen besucht und sind beim Thema Rasse toleranter, was uns natürlich nicht recht sein kann. Es ist traurig, aber für uns gilt: je rassistischer, desto besser. Weiße Frauen sind für uns etwas günstiger als weiße Männer, weil sie gegenüber einer Geschlechtsgenossin härter wären, wenn der Verdacht der Erbschleicherei besteht. Ein Mann hätte vielleicht Verständnis dafür, dass sich ein anderer Mann mit seiner Haushälterin einlässt, eine Frau nicht.«
    Und das kostet fünfundsiebzigtausend Dollar?, dachte Herschel, während er vor sich hin malte. Liegt das nicht auf der Hand? Gelangweilt blickte er zu seiner Schwester hinüber, die alt und müde wirkte. Mit Ian lief es nicht gut, und die Hubbard- Geschwister hatten in den vergangenen drei Monaten mehr mit einander telefoniert als in den zehn Jahren

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