Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)
Sie drehte den Kopf und betrachtete mit hartem Blick die Kriegstruhe, die an einer Wand stand.
» Der Tod ist mein Lied « , murmelte sie schließlich. Dann nahm sie zwei Schwerter aus ihrer Halterung über der Truhe. Sie kniff die Lippen zusammen und ließ den Blick über die Muster auf den schwarzen Schwertscheiden gleiten, bevor sie beide mit einem Ruck durch die Ringe an ihren Gürteln stieß.
Auf den Tag folgte die Nacht. Die Sterne zogen über die Erde. Im Tempel des Mhaelanar schrie jemand voller Angst und Entsetzen. Stimmen schrien, Füße rannten, und eine geschmeidige Gestalt glitt durch Schatten und Dunkelheit nahe der Zuflucht, in der sich Korriya und Vern versteckt hatten. Die heilige Flamme brannte auf dem Altar und warf die Silhouette eines flachen, schmalen Kopfes an die Wand. Der Kopf ragte aus einem Körper, der in eine Robe gehüllt war. Er war mit Chitinschuppen gepanzert, ebenso der Hals. Große, lidlose Augen sahen die Priester voller Verachtung an.
» Blut fordert Blut « , zischte er. » Eure alberne Gegenwehr wird euch nicht retten, auch hier nicht, im Refugium eures großen Gottes. Wo ist euer Verteidiger jetzt, Diener von Mhaelanar? «
Der geschmeidige Körper wand sich durch Luft und Schatten den gefangenen Priestern entgegen. Malian sah, wie seine Macht den Rand von Verns Geistesschild berührte. Schweiß glänzte auf der Stirn des jungen Priesters. Neben ihm ergriff Schwester Korriya die Fackel, in der sich die heilige Flamme befand. Das Licht erhellte ihr Gesicht. Es wirkte so ausdruckslos und gefasst wie die Maske des Gottes.
» Sie sind mutig « , dachte Malian leicht bedauernd, » aber sie werden es nicht schaffen. « Sogar das Heulen der Hunde verstummte; sie warteten.
Eine dunkle Gestalt trat aus den Schatten neben der Tempeltür. » Gewährst du mir diesen Tanz, Wurm? « , fragte sie leise und zog dabei eine lange, gebogene Klinge aus der schwarzen Schwertscheide. Die Waffe sog das Licht aus dem Tempel in sich auf.
» Schließlich « , sagte Asantir, » zieht Dunkelheit ja Dunkelheit an. «
Der Wurm, größer, schneller und mächtiger als der Gefährte, den er zu rächen gedachte, zischte und rollte sich zusammen. Erschreckend schnell floss er über den Boden. Asantir machte einen Schritt zurück in die Dunkelheit und entfernte sich von der raschen, tödlichen Attacke. Der Wurm kräuselte sich, wurde eins mit der Nacht – dann stieß der flache Kopf mit aufgerissenen Kiefern durch die Luft nach vorn, der schwarz gekleideten Gestalt entgegen, die aus der Dunkelheit sprang, das Schwert hob und nach der Kehle des Wurms stach. Der Wurm rollte sich zur Seite und holte mit dem Schwanz zu einem Gegenschlag aus, doch die schwarze Gestalt brachte sich mit einem Salto aus der Gefahrenzone. Die Bewegung war so schnell, dass man ihr kaum folgen konnte.
Eine Melodie erklang in der Schwärze von Mhaelanars Tempel; ein Lied von Tod und Dürre, vom ersten Gras, das in einem schwarzen Frost verdorrt, von fruchtbarer Erde, die der Wind davonweht. Das Lied wurde lauter. Es handelte von Ernten, die auf den Feldern verrotten, von Liebe, die ins Verderben führt; es versprach eine Ewigkeit voller Dunkelheit, Ödnis und Trauer, die das Herz betäubte und jegliche Hoffnung begrub. Das Lied der Sirene war so mächtig und überzeugend, dass sogar Malian, die unbemerkt zuhörte und zusah, keine Antwort darauf fand.
» Wer könnte sich ihm widersetzen? « , flüsterte sie, wohl wissend, dass sie niemand hören konnte. » Dieser Wurm ist zu mächtig. Sie sind verloren. «
Doch jemand schien sie trotz allem zu hören, denn eine Stimme antwortete auf ihre verzweifelte Frage. Sie war so kalt wie der Tod, so schwarz wie das Nichts zwischen den Sternen und erhob sich in dem lichtlosen Raum. Unsicherheit schlich sich in die Sirenenstimme, und für einen kurzen Moment leuchtete ein lichtloses Auge in der Dunkelheit auf. Dann wurde es rasch wieder verborgen.
Malian bemerkte eine Bewegung in der Dunkelheit unter der Galerie, die den gewaltigen Mittelgang des Tempels umgab. Die Kriegerin mit ihrem Schwert schlich zwischen den Säulen hindurch. Der Wurm warf den Kopf herum, doch dieses Mal griff er nicht sofort an, denn wie Malian hatte er erkannt, dass Asantirs Schwert für das Gegenlied verantwortlich war.
Schwarze Klinge. Der Name schnitt durch die lichtlose Luft. Langsam und vorsichtig glitt der Wurm nach vorn, während das kalte Lied sich gegen seine verzweifelte Gestalt warf.
Malian hob ebenso
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