Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)
Turm selbst lauschte. Sie ärgerte sich, als sie sich dabei ertappte, leise zu sprechen. » Denkt Ihr, dass jemand hier ist? Es ist sehr still. «
Haimyr stand im Mittelpunkt des Eingangshofes, legte seinen Kopf schief und lauschte. » Wenn man an die Berufung der Herolde denkt, mutet es sonderbar an, dass sie dennoch als schweigsam gelten « , murmelte er und starrte auf die Holzpaneele und den Mosaikboden, als ob er beides zum ersten Mal sähe. » Doch nach dem, was der Kammerherr uns erzählt hat, werden sie wohl nicht hier sein. «
» Wir sollten nachsehen « , sagte Nhairin und erklomm die Stufen zu den Zimmern, wo die Herolde untergebracht waren. Haimyr hob seine Hand und wollte klopfen. Der Schatten seines Ärmels warf eine fantastische Silhouette über den Boden und die Tür. Doch bevor seine Faust herabfiel, schwang die Tür auf, als ob sie die beiden zum Eintreten auffordern wollte.
Nhairin, die über die Schulter des Barden spähte, fragte sich, ob das Zufall oder mehr war.
Das Zimmer schien eigentlich vollkommen normal und enthielt schwere, triste Möbel. In der Feuerstelle brannte ein helles Feuer. Reiseausrüstung wie Satteltaschen, Umhänge und Bettrollen lag überall auf Stühlen und Kommoden verstreut herum. Von den beiden Herolden war allerdings nichts zu sehen. Der Raum war mit derselben lauschenden Stille wie der Rest des Turmes erfüllt. » Sollen wir hineingehen? « , fragte Nhairin.
» Die Tür hat sich für uns geöffnet « , antwortete der Barde. » Aber zu welchem Zweck? « , fügte er leise hinzu und machte einen Schritt vorwärts. Er sah sich aufmerksam um, als ob er erwartete, dass die Herolde plötzlich aus den Schatten heraus auftauchten. Doch der Raum blieb leer. Nhairin folgte ihm langsam und warf der geschlossenen Tür auf der anderen Seite des Raums einen zweifelnden Blick zu.
» Möglicherweise ruhen sie sich aus « , meinte sie wenig überzeugt.
Haimyr schüttelte den Kopf, obwohl er angestrengt zu lauschen schien. Nhairin zuckte mit den Schultern und ging auf das Feuer zu. » Auch daran war etwas merkwürdig « , überlegte sie, obwohl die Wärme sie anzog. Es dauerte noch einen Moment, bevor sie erkannte, dass das Feuer geräuschlos brannte. Die Flamme tanzte fröhlich auf und nieder, doch man hörte kein Zischen oder Knacken von brennendem Holz, kein plötzliches Knallen der Funken. Nhairin ging noch näher und war fasziniert von der Klarheit der Flammen. Plötzlich zog sie den Atem vollkommen überrascht durch die Zähne, als die Muster zu dem Gesicht einer Frau wurden, die sie ansah. Die kalten, tiefliegenden Augen hielten Nhairins Blick stand.
» Nicht das Feuer berühren! « Anschließend war sie nicht sicher, ob die Stimme in ihrem Geist gesprochen hatte oder ob es Haimyr hinter ihr war. Die Hände des Barden packten sie hart an den Schultern und rissen sie zurück, weg von den Flammen. Als sie wieder hinschaute, war das Gesicht weg, obwohl die stillen, edelsteinhellen Flammen immer noch brannten.
» Was ist passiert? « , fragte Nhairin erschrocken.
» Ihr habt in das Schutzfeuer eines Herolds geschaut « , sagte Haimyr langsam. Verwunderung verdrängte seine Besorgnis. » Es hätte Euch aber nicht so sehr anziehen dürfen. «
» Ein Schutzfeuer. « Nhairin sah die Flammen voller Abscheu an. » Also das ist es? «
» Ja. Schon allein die Geräuschlosigkeit bestätigt das. « Haimyr sah immer noch verwirrt aus. » Herolde benutzen sie, um ihre Lager zu beschützen, wenn sie sich in einsamen Gegenden der Welt befinden, oder um ihre Unterkunft aus der Entfernung zu überwachen, falls sie sich an einem gefährlichen Ort aufhalten. Angesichts der letzten Nacht hätte ich das Feuer oder etwas Ähnliches erwarten müssen. Doch mein Blick glitt darüber hinweg und bemerkte nichts Außergewöhnliches. « Er schüttelte den Kopf. » Ich hörte, dass Herolde Meister darin sind, Augen und Ohren zu täuschen. Jetzt habe ich den Beweis! «
» Ich bemerkte seine Geräuschlosigkeit sofort, als ich hereinkam. « Nhairin erinnerte sich, wie erst das Feuer und dann der Blick der Beobachterin sie angezogen hatte. Sie runzelte die Stirn und fragte sich, wie viel sie über das Gesicht im Feuer preisgeben sollte, entschloss sich dann aber, ihre Meinung für sich zu behalten. Zumindest, bis sie ein wenig mehr wusste. » Also darf ich annehmen, dass sie über unsere Anwesenheit informiert sind? «
» Sie werden wissen, dass jemand hier ist, aber darüber hinaus … « Haimyr zuckte
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