Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

seinem rechten Arm misstrauen würde. Dasselbe galt für Nhairin, denn wenn Asantir sein rechter Arm war, dann war die Hofmarschallin der Burg mit Sicherheit sein linker. Teron stammte aus einer Familie, die schon immer die Feste der Wolken für das Haus der Nacht befehligt hatte. Diese Familie war sowohl bekannt für ihre unerschütterliche Loyalität und ihren Mut als auch für ihre Rechthaberei und ihren Mangel an Vorstellungskraft.
    Der Graf dachte ironisch, wie undenkbar es war, dass jemand aus dieser Familie den Antrieb, geschweige denn die Neigung hatte, zum Verräter zu werden.
    Die andere unerfreuliche Möglichkeit war, dass die Botschaft selbst eine List war; ein vergifteter Stachel, den seine Feinde pflanzten, um Argwohn und Misstrauen zu säen. Es bedeutete nicht einmal, dass Vhirinal, einst sein Freund, sein Feind geworden war oder der Freund seiner Feinde. Dieselben Gegner hätten nur sicherstellen müssen, dass das Gerücht über einen Verräter seinen Weg in die Ohren des Ephors fand. Doch der Graf sagte sich, dass der Vhirinal, den er kannte, solchen Listen gegenüber argwöhnisch wäre. Er musste dieser Geschichte besondere Bedeutung zugemessen haben, wenn er sich in Unkosten stürzte, um Herolde einzustellen und diese auf die lange Reise zum Wall der Nacht zu schicken.
    » Ein großartiger Freund also « , grübelte der Graf, » oder ein großer Feind. « Er hatte keine Möglichkeit zu beurteilen, was davon stimmte. Genauso wenig konnte er die Identität des Verräters feststellen, falls er oder sie wirklich existierte. Er musste jeden verdächtigen, weiterhin so tun, als ob er allen vertraute, und darauf hoffen, dass früher oder später die Maske des Verräters fiel.
    Die Tür öffnete sich leise, während er seinen finsteren Gedanken nachhing. Eine große, weiß gekleidete Gestalt war als Umriss gegen den Flur zu erkennen. Dann trat sie ein und schloss die Tür. Das Licht des Feuers reichte nicht ganz bis zu ihrem Gesicht und ließ es im Schatten. Sie kam auf seinen Sessel zu. » Du bist so spät noch wach, Graf der Nacht « , sagte Rowan Birkenmond sanft. » Es wäre besser, du würdest die Rüstung ablegen und dich ausruhen. «
    Er sah sie an. » Mir geht es recht gut, meine Lady des Winters. Die Rüstung erinnert mich an meine Verantwortung. «
    Sie strich mit einer weißen, schlanken Hand über sein dunkles, graumeliertes Haar. » Es tut nicht gut, die ganze Nacht an deinen Problemen zu knabbern wie ein alter Hund. Du brauchst Schlaf. «
    » Zauberei, Angriffe in der Nacht und Mordversuche an meiner Erbin « , sagte er in dem gleichen Tonfall. » Das sind genug Probleme für jeden Derai-Hund, um daran zu knabbern, meinst du nicht? «
    Ihre grauen Augen, die so kühl wie Silber waren, sahen auf ihn hinab. » Vielleicht « , sagte sie, » doch ich glaube nicht, dass es diese Knochen sind, die dich wach halten. Es gibt andere Dinge, die dich mehr belasten, nicht wahr? « Sie betrachtete seinen verschlossenen Gesichtsausdruck und nickte, als ob ihre Frage beantwortet worden wäre. » Doch wenn es sich um reine Derai-Angelegenheiten handelt, dann ist es vielleicht das Beste, dass du darüber Schweigen bewahrst. « Sie sprach ohne Vorwurf, setzte sich auf den Boden vor dem Feuer und sah hinein.
    Der Ausdruck des Grafen wurde weicher. » Du weißt, dass es nicht darum geht, mein Herz. Einige Dinge kann man nicht mit Worten ausdrücken, das ist alles. «
    Sie sah ihn ernst an. » Ist deine Tochter Teil dieser Beschwernis, mein Graf der Nacht? «
    Er nickte, kniff die Lippen zusammen und sagte nichts. Sie schüttelte den Kopf. » Ich habe noch nie diese Spaltung zwischen Krieger und Priester verstanden. Sie scheint nichts als Schmerz und Trauer zu bringen und fügt eurer Allianz großen Schaden zu. Ich sehe darin nichts Gutes. «
    Der Graf lachte kurz auf. » Haimyr würde sagen, dass der Schmerz und die Trauer ohne das Gute vollkommen Derai sind – das Herzstück unserer Lieder und Geschichten. «
    Rowan Birkenmond lächelte. » Das ist genau das, was er sagt « , stimmte sie zu, » doch ich bin sicher, dass ich mich an eine Sage mit glücklichem Ausgang erinnern könnte, wenn ich lange genug darüber nachdenke. « Das Lächeln verschwand. » Es scheint mir, dass nur ein Teil der Geschichte, nämlich der Große Verrat, euer Leben seit einem halben Millennium prägt. Dennoch erzählt nie jemand die ganze Geschichte, wenigstens nicht, wenn ich zuhöre. «
    » Weil wir sie mit unserer Muttermilch