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Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Lowe
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Kreaturen dieser Welt gesehen und wusste, wie verkommen und verschmutzt der Wall im Vergleich dazu war. Die meisten Derai kannten nur den Wall und seine Festen; eine düstere und begrenzte Welt, die obendrein noch zu schlecht ausgerüstet war, um dem Feind die Stirn zu bieten. Der Angriff auf die Burg hatte das unter Beweis gestellt.
    Der Graf dachte über die Folgen dieses Angriffs nach und runzelte die Stirn. Einige Konsequenzen mussten sofort gezogen werden, andere brauchten mehr Zeit. Der Tod und die Zerstörung waren schlimm, doch das konnte man verwinden. Aber die Derai hatten den Glauben an die Unantastbarkeit ihrer Burgen verloren. Darüber hinwegzukommen war wesentlich schwieriger. Die Neuigkeiten, die Korriya ihm überbracht hatte, waren viel schlimmer als ein physischer Angriff. Der Graf ballte seine Hand zur Faust. Wenn Korriya nur nicht so überzeugend gewesen wäre, dann hätte er ihre Worte einfach abtun können. Er erinnerte sich an die Priesterin aus ihrer gemeinsamen Kindheit. Sie war besonnen und pragmatisch und stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Sie war keine Person, deren Argumente man leichtfertig verwerfen sollte, wenn überhaupt.
    » Ich hätte es wissen müssen « , sagte sich der Graf. Vielleicht hatte er es gewusst. Malian war Nerion so ähnlich, als diese im selben Alter gewesen war. Doch er hatte die Augen vor dieser Ähnlichkeit verschlossen und ihre möglichen Folgen verleugnet. Er hatte sogar zu hoffen gewagt, dass Korriya sich irrte. Dabei hätte er schon vor langer Zeit lernen müssen, wie sinnlos Hoffnung war. Asantirs Bericht über die Vorgänge in der Alten Burg hatten jeden Zweifel weggefegt. Diese Neuigkeiten würden nicht lange unter Verschluss bleiben. Irgendjemand redete früher oder später, das war immer so.
    Er schüttelte den Kopf und fragte sich, wie viele Grafen der Nacht vor ihm eine solche Abfolge von Katastrophen erlebt hatten. Mit den Nachwirkungen des Kampfes konnte er umgehen: Es gab endlose Diskussionen, wie man die Burg am besten sicherte, und die Logistik für das tägliche Leben war durch die Zerstörungen erschwert worden. Er konnte auch die verstehen, die vor Verwirrung und Schock nicht in der Lage waren zu handeln, und er konnte mit ihnen umgehen; auch mit denjenigen, die tobten und nach schneller Vergeltung schrien. Das alles war Teil seiner Pflicht als Graf, wie die Verteidigung der Burg es gewesen war. Doch diese anderen Angelegenheiten, die Geschichten von Dämonen und alten Kräften, die Rolle, die seine eigene Tochter dabei gespielt hatte … Der Graf schüttelte erneut den Kopf und starrte ins Feuer.
    Er war verblüfft gewesen, als Asantir mit Haimyrs Geschichte, wonach einer der Herolde ein Aufspürer sein sollte, zu ihm gekommen war. Er hatte die Abneigung seines Vaters gegen jene mit den alten Kräften geerbt. Aber der Gedanke, dass diese verachtenswerten Kräfte nicht nur allein den Derai vorbehalten waren, entsetzte ihn noch immer. Der Graf konnte sich an keine Begebenheit in der langen Geschichte der Allianz erinnern, in der die Derai anderen Völkern begegnet waren, die ihnen ebenbürtige Kräfte hatten – außer natürlich dem Schwarm. Das war etwas, das die Derai von anderen abgrenzte, auch wenn sie jetzt diesen besonderen Aspekt ihrer Herkunft fürchteten und ihm misstrauten.
    Der Graf trommelte mit den Fingern seiner rechten Hand auf die Armlehne seines Sessels. » Ja, wir fürchten ihn. Aber wir haben uns auch darauf verlassen; so, wie wir uns auf die alte Tradition der Unantastbarkeit der Macht verlassen haben, die an die Alte Burg gebunden ist. « » Wir waren Narren « , fügte er in Gedanken hinzu. » Wie konnten wir nur glauben, dass wir diesen Ort verlassen könnten und uns seine Schutzzauber trotzdem weiterhin verteidigen würden. «
    Jetzt sah er sich der unangenehmen Möglichkeit gegenüber, dass die Vernachlässigung der alten Kräfte den Untergang der Derai bedeuten könnte. Und er war immer noch der Sohn seines Vaters. Es ärgerte ihn, dass die Priester für das Überleben der Derai vielleicht unbedingt notwendig waren. Allerdings konnte er die Anzeichen der jüngsten Ereignisse nicht leugnen. Dennoch hatte er nur sehr widerstrebend auf Asantirs Drängen hin zugestimmt, als die Herolde um die Hilfe von Korriyas Priestern baten.
    Das war das erste Mal seit fünfhundert Jahren, dass die Krieger Hilfe aus dem Tempelviertel erbeten hatten – und er war der Graf, der das zugelassen hatte. Sein Vater, der Alte Graf,

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