Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
und in diesem Jahr zum ersten Mal nicht nur die Kosten wieder hereingewirtschaftet, sondern Geld verdient. Da Andreas Khlesl auf Reisen, Melchior Khlesl wie üblich unauffindbar und Vilém Vlach, der vierte Seniorpartner, für eine Reise mittlerweile zu hinfällig geworden war, hatten Andrej und Cyprian sich entschlossen, die Mühen Dominiks durch einen persönlichen Besuch zu ehren. Cyprian hatte sein Heim und seine Familie seit über sechs Wochen nicht mehr gesehen. Er erinnerte sich nur an eine einzige andere Periode in seinem Leben, in der er noch länger von seinen Lieben getrennt gewesen war; unwillkürlich rieb er sich über die alte Narbe, in der einmal Heinrich von Wallenstein-Dobrowitz’ Pistolenkugel gesteckt hatte.
Das Geräusch von draußen ertönte von Neuem und lenkte ihn von seinen Gedanken ab. Er streckte die Hand aus dem Fenster und schlug gegen die Kutsche. Ihr Lenker brachte sie zum Halten.
»Was ist los?«
Cyprian öffnete die Tür und kletterte hinaus. »Komm mit, Andrej«, sagte er. »Du liebe Güte, bin ich steif beinig. Wie ein alter Mann!«
»Ist irgendwas passiert …?«
»Sei mal einen Augenblick still und sperr die Ohren auf, mein Alter.« Cyprian setzte ein breites Grinsen auf.
Andrej lauschte. Plötzlich lächelte auch er. »Lass uns mal nachsehen«, sagte er.
Sie stapften über den von nur wenigen Spuren durchzogenen Schnee und kämpften sich dann durch die Verwehungen am Straßenrand. Jeder Baumstamm hatte um seinen Fuß herum einen hüfthohen Ring aus Schnee angesammelt, aber die dicht stehende Reihe hatte zugleich verhindert, dass der Wind allzu viel Schnee in den dahinterliegenden Bach geblasen hätte. Der Bach war zugefroren, das Eis grau und matt schimmernd im schwindenden Licht und von einer kleinen Handvoll von Kindern freigefegt, die darauf herumschlitterten und jauchzten. Es war dieses Geräusch gewesen, das Cyprian schon zuvor gehört hatte. Die Kinder schienen zu einer geduckten Ansammlung von Gebäuden eine ganze Strecke vom jenseitigen Bachufer zu gehören. Ein Bauernhof, vermutlich Pächter des Klosters… Eines der Gebäude war eine Brandruine, die schwarz verrußte Dachsparren in das Schneetreiben reckte, der beste Beweis dafür, dass der Krieg auch hier nicht spurlos vorübergezogen war, und dass das Gebäude noch nicht wieder repariert war, wies darauf hin, dass die Bewohner eher schlecht als recht lebten und aller Wahrscheinlichkeit nach vom Kloster unterstützt wurden, anstatt diesem die Pacht abzuliefern. Die Kinder jedoch … die Kinder lachten und sausten auf dem Eis herum und hatten vergessen, dass es Sorgen gab.
» Deswegen sind wir nicht nach Prag zurückgekehrt«, sagte Cyprian. » Deswegen haben wir die heiligsten Tage des Jahres in einer verdammt zugigen Kutsche und bei dem lausigsten Essen verbracht, für das ich je einem schwitzigen Herbergswirt das Geld in den Rachen geworfen habe. Damit dieses Lachen … diese Unbeschwertheit … diese Zuversicht, dass wieder bessere Tage kommen, nicht betrogen werden. Unser Land richtet sich gerade wieder auf; es kann nicht das Gewicht der Teufelsbibel tragen, wenn sie aufwachen sollte.«
Andrej atmete tief ein und aus und schüttelte dann den Schnee von den Stiefeln. »Steig schon ein«, brummte er, »bevor mir noch die Bemerkung rausschlüpft, dass ein Christfest mit dir zusammen in einer Kutsche geradezu was Schönes ist, wenn das hier«, er wies auf die spielenden Kinder und ihr Lachen, »der Ersatz für die Kirchenglocken ist.«
»Werd bloß nicht sentimental«, sagte Cyprian, aber als Andrej auf dem Rückweg zur Kutsche eine Hand auf seine Schulter legte, stieß er ihn mit dem Ellbogen sanft in die Rippen und grinste. Sein Grinsen vertiefte sich, als sie feststellten, dass ein kleines Häuflein frierender Mönche bei ihrem Wagen stand und ihnen besorgt entgegenblickte. Einer von ihnen trat einen Schritt vor und deutete eine Verbeugung an.
»Stimmt etwas nicht, Herr von Langenfels?«
»Wieso?«, fragte Andrej.
Der Mönch gestikulierte. »Nun, dieser plötzliche Halt …«
»Sie sind der Bruder Torhüter von Raigern, habe ich recht?«
Der Mönch strahlte und nickte. Cyprian beugte sich zur Seite, um an der Kutsche und den Pferden vorbei die Straße entlangzuspähen. Sie verlief in einer sanften Rechtskrümmung und verschwand im Schneetreiben und hinter der Baumreihe entlang des Bachs. Der mächtig aufragende Bau des Klosters war nicht zu sehen. Cyprian richtete sich wieder auf und schmunzelte. Er
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