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Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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Berg. Selbst Wenzel, der nicht geneigt war, Wundern allzu viel Gewicht beizumessen, fragte sich, ob Alexandra nicht in jenem Augenblick, in dem sie sich gegen die Amputation entschieden hatte, von einem höheren Geist beseelt gewesen war. Lýdie war noch immer blass, die Schatten unter ihren Augen waren tief, und während sie Wenzel anblickte, flatterten ihre Augenlider vor Müdigkeit. Alexandra hatte erklärt, es sei normal – Lýdie schliefe sich gesund. Gewiss, es würden tiefe Narben auf Lýdies Arm zurückbleiben, und Alexandra hatte bereits festgestellt, dass das Mädchen an ein paar kleineren Stellen nahezu unempfindlich gegen Berührung geworden war, aber das Schicksal, als Krüppel von allen gemieden zu werden, hatte ihre Tante ihr erspart.
    Nicht dass sie dafür schon ausreichend Dank vom Vater der Patientin erhalten hätte , dachte Wenzel.
    Alexandra, die den Verband über den verkrusteten Narben wechselte und den Arm dabei gleichzeitig mit einem feuchten Lappen reinigte, blickte auf. Ihr Lächeln erwärmte Wenzels Herz noch mehr als das des Mädchens, auch wenn es schon binnen eines Atemzuges der betont gleichgültigen Miene Platz machte, die Alexandra ihm meistens zeigte.
    »Es ist Zeit«, sagte Wenzel.
    »Schon?«
    »Die Sonne scheint. Gibt es einen besseren Grund, um zu reisen?«
    Sie sah ihn an. Er hoffte, dass sie fragen würde, ob es nicht einen noch besseren Grund gäbe zu bleiben, aber sie schwieg. Er zuckte mit den Schultern. »Die Brüder juckt es in den Füßen.«
    Alexandra nickte. Lýdies Kopf sank immer tiefer in die Kissen, und mit dem letzten Festziehen der Schleife, die den Verband hielt, war sie eingeschlafen. Alexandra stand auf und trat zu Wenzel. Sein Herzschlag wurde schneller.
    »Auch hier in Würzburg ist alles ruhig«, sagte er dann. »Selbst die Untersuchungen wegen der Hexenverbrennungen scheinen zum Stillstand gekommen zu sein.« Er räusperte sich; ihm war klar, dass er plapperte, aber es war besser, als das zu sagen, was er wirklich sagen wollte. »Aus Münster und Osnabrück hört man, dass die Friedensverhandlungen erneut in Gang gekommen sind. Die radikalen Vertreter beider konfessionellen Lager sind in den letzten Wochen wohl nach und nach ausmanövriert worden; Nuntius Chigi, der Unterhändler des Papstes, der in dessen Auftrag jede Menge Haken geschlagen hat, ist weitgehend kaltgestellt – oder hat sich kaltstellen lassen, damit der Papst sein Gesicht wahren kann, wenn es zu Einigungen kommt, die dem Heiligen Stuhl widersprechen. Die Niederländer und die Spanier stehen kurz davor, ihren eigenen Frieden miteinander zu machen, mit allen Vorteilen auf der niederländischen Seite: volle Souveränität und staatliche Eigenständigkeit. Alexandra …«, er holte Luft, »man kann den Frieden jetzt mit beiden Händen greifen. Was sollte noch passieren? Spanien und Frankreich stehen zwar nach wie vor im Krieg gegeneinander, aber wie ich gehört habe, wankt die Unterstützung von Kaiser Ferdinand für seinen Vetter Philipp, und allein wird der Spanier sich gegen die Franzosen nicht behaupten können. Kannst du dich erinnern …«
    Alexandra legte ihm die Hand auf den Arm. »Leise, Wenzel. Lýdie soll schlafen.«
    »… kannst du dich erinnern, was wir gedacht haben, damals, als wir uns in den alten Gärten unterhalb der Burg in Prag trafen?«
    Alexandra hob einen Finger, als wolle sie ihm damit die Lippen verschließen, doch es war zu spät.
    »Wir dachten, dass der Krieg uns keine Zeit lassen würde. Alexandra, jetzt ist der Krieg so gut wie zu Ende. Wir haben dreißig Jahre lang keine Zeit gehabt, doch nun …«
    Er schwieg, weil er den Ausdruck in ihren Augen sah. Tatsächlich machte er sich etwas vor. Es war nicht so einfach. Für sie beide war es nie einfach gewesen. Sie schüttelte den Kopf.
    »Wir haben so viel gedacht, damals. Und nichts ist so gekommen, wie wir es uns gewünscht haben.«
    »Doch, Alexandra. Beinahe … wir hatten doch beinahe …«
    »Wir hatten gar nichts«, sagte sie. »Wir haben einmal miteinander geschlafen. Es war ein Fehler.«
    Er hatte nichts anderes erwartet, und doch schmerzte es wie ein Stich ins Herz. »Es ist eine der Erinnerungen, die ich heilig halte.«
    »Erinnerungen … wenn du mir alle meine Erinnerungen nehmen würdest, würde ich dir dafür danken.«
    »Alexandra!«
    Sie sah zu ihm auf, und der Schmerz in ihren Augen nahm ihm den Atem. »Die wenigen guten Erinnerungen, die ich hatte, sind zu Asche geworden vor den vielen

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