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Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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eines halben Dutzends Schweine und Ziegen, die sich vermutlich beim Einfangen etwas gebrochen hatten und getötet worden waren, auf den Wagen geworfen wurden. Die Soldaten mussten alles Vieh zusammengetrieben haben, das sich im Umkreis eines halben Tages um Prag herum noch in den Dörfern hatte finden lassen. Prag war damit von jeglichem noch so kargen Nachschub abgeschnitten. Die Stadtbesatzung hatte versäumt, die Tiere für die Stadt zu requirieren.
    Und ihm, Melchior, würde es niemals gelingen, aus einer Schar von fast zweihundert Soldaten die Frau zu befreien, die er liebte, geschweige denn, ihre Tochter und seinen Bruder noch dazu. Er hatte versagt.

10.
    Andreas Khlesl fühlte sich vor Angst und Entsetzen wie gelähmt. Wohin er auch blickte, alles schien ihm vor den Augen zu verschwimmen, und er hatte das Gefühl, er bewege sich wie unter Wasser. Die Bilder aus der Scheune flackerten in seinem Kopf: Karina, die bebend den Soldaten anstierte,der ihr Knopf um Knopf vom Mieder riss, Lýdie, die sich in die Ecke drückte, und die Blicke der anderen Soldaten, die das Mädchen taxierten, als wollten sie sagen: Wenn wir von deiner Mutter genug haben, bist du an der Reihe.
    Ihm wurde schlecht, wenn er daran dachte, dass der Königsmarck’sche Offizier in allerletzter Sekunde dazwischengetreten war, und noch schlechter angesichts der Verachtung, die der Offizier ihnen entgegengebracht hatte. Ihre Rettung war tatsächlich nur die Bestrafung des renitenten Korporals gewesen, weiter nichts.
    Das letzte Mal hatte er diese Angst empfunden, als er noch ein Junge gewesen war. Er erinnerte sich an die Trauer im Haus, die Ratlosigkeit, die Erstarrung ihrer Mutter, die Hilflosigkeit von Onkel Andrej und wie sich Alexandra, seine große Schwester, Andreas’ Idol, immer mehr zurückgezogen hatte. Der Vater war für tot erklärt worden, der fette Sebastian Wilfing hatte sich als Herr im Haus aufgespielt, und was der kleine Andreas empfunden hatte, war völlige Hoffnungslosigkeit und eine würgende Angst davor gewesen, was aus ihnen werden würde. Er hatte daran gedacht, wegzulaufen. Aber wohin? Und sollte er seinen kleinen Bruder Melchior zurücklassen? Aber konnte er ihn mitnehmen? Einmal hatte er ein paar Brocken einer Unterhaltung aufgeschnappt: Onkel Andrej hatte erzählt, wie er als knapp Achtjähriger zur Waise geworden und geflohen war, wie er ein Höllenleben als Gassenjunge in Prag geführt hatte. Damals hatte Andreas noch in seinem Bett gezittert und gewusst, dass Andrejs Schicksal das Schlimmste wäre, was ihm je zustoßen könnte. Wenn er von zu Hause weglief – würde er dann nicht diesem Schicksal in die Arme stolpern? Er hatte sich gefangen gefühlt, ausweglos, vollkommen alleingelassen von allen, deren Hilfe er gebraucht hätte; und als die Mutter ihn und Melchior bei Nacht und Nebel mit dem Ordensritter der Kreuzherren vom Roten Stern weggeschickt hatte, da war erüberzeugt gewesen, sie und alle anderen niemals mehr wiederzuzusehen, abgeschoben worden zu sein, in Sicherheit gebracht vielleicht vor den Machenschaften Sebastians, aber in Wahrheit verraten, verkauft und verloren für immer. Er hatte sich wie tot gefühlt, ein kleiner Junge, dessen Seele in einem fühllos gewordenen Körper steckte und lautlos schrie, dass er alles dafür tun würde, wenn er nur noch einmal, ein einziges Mal, die Chance bekäme, dass alles wieder so würde wie zuvor. Verzweifelt versuchte er sich zu seiner Frau und seiner Tochter umzudrehen, die hinter ihm vorangetrieben wurden, aber er erhielt einen Stoß und stolperte vorwärts.
    Die Dinge kamen ihm in den Sinn, die er zu Melchior gesagt hatte. Melchior und Karina … er hatte das doch nicht selbst geglaubt, oder? Es war ihm einfach so in den Sinn gekommen, während er sich mit Melchior gestritten hatte. Oder hatte etwas im Gesicht seines Bruders es ihm verraten, hatte ihm einen Hinweis gegeben, wie er die vielen kleinen Zeichen zusammenfügen konnte, die für sich allein unwichtig schienen und die sich doch in seinem Gedächtnis eingegraben hatten, damit sich ein Bild ergab? Nein, es war unmöglich … und doch: Weshalb hatte Melchior ihn geschlagen? Hätte er nicht eher ungläubig lachen sollen? Gott, wie vulgär war er, Andreas, bei diesem Gespräch eigentlich geworden? Er wünschte sich, sich umdrehen und Karina in den Arm nehmen und sich bei ihr entschuldigen zu können, entschuldigen für die Worte, die er zu Melchior gesagt hatte. Es gab keinen Zweifel, dass sie alle ihrem

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