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Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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Verteidigungsring in die Stadt hineinstahl, ein Stadtviertel in Besitz nahm und sich dann dort verschanzte.
    Andreas blieb stehen. Er erhielt einen neuen Stoß und wäre beinahe vornübergefallen. Er hätte nicht gedacht, dass es möglich wäre, aber tatsächlich konnte das Grauen, das er empfand, noch gesteigert werden. Er wusste jetzt, welche Rolle ihm in dieser Tragödie zukam.

11.
    Melchior kam sich vor wie in einer Geisterstadt. Prag hatte schon immer eine Atmosphäre besessen, die es einem – besonders bei Nacht – möglich erscheinen ließ, dass Gespenster um eine Ecke kamen oder dass das Geräusch der einsamen Fiedel, das von irgendwoher ans Ohr driftete, tatsächlich die Musik des toten Ritters Dalibor war, zu welcher der Golem tanzte … Heute jedoch lastete die Schwere noch mehr als sonst auf der Stadt. Prag bereitete sich vor, und es wusste selbst nicht, ob es sich auf den Untergang vorbereitete oder ob seine Geister es noch einmal retten würden. Melchior kauerte sich im Dunkel der Gärten zusammen. Die Umgebung war mehr zu ahnen, als zu sehen, doch hier kannte er sich aus. Durch diese Gärten war er gelaufen, als er noch ein Kind und die Welt weniger kompliziert gewesen war, und die Pfade der Kindheit brennen sich am nachhaltigsten in die Erinnerung ein.
    Er schwitzte. Nie hatte er gedacht, dass er in seiner eigenen Stadt einmal durch die Gassen schleichen würde wie ein Dieb. Die Nachtwache durfte ihn nicht schnappen – er warkein Unbekannter in der Stadt, und der Name Khlesl hatte einen hervorragenden Ruf, aber es war zu bezweifeln, dass General Colloredo in der Lage, in der Prag sich befand, darauf Rücksicht nehmen würde. Wer eine Waffe halten konnte, würde die Stadt verteidigen müssen; und das, was Melchior im Augenblick am meisten benötigte, war Bewegungsfreiheit. Er holte Luft und klopfte an den Fensterladen. Das Geräusch dröhnte wie Gewehrschüsse durch die Nacht.
    Nach einer Weile hörte er ein Geräusch aus dem Haus. Es war das Klicken eines Pistolenhahns, der gespannt wurde. Er lächelte in sich hinein, drückte sich sicherheitshalber an die Wand neben dem Fenster und klopfte nochmals.
    »Wer ist da?«
    »Melchior Khlesl!«
    »Verdammt!«
    Der Fensterladen wurde aufgestoßen. Melchior richtete sich vorsichtig auf. Eine Gestalt in einem langen Hemd, mit langem Haar und einer Pistole in der Hand stand in der Finsternis des Raums. Sie ließ die Pistole langsam sinken.
    »Renata«, flüsterte Melchior. »Kann ich reinkommen?«
    »Du könntest auch die Tür nehmen. Warum erschreckst du uns so – mitten in der Nacht?«
    »Wer weiß, wer alles seine Augen in der Gasse vorne hat. Ich bevorzuge den Hintereingang. Ist das Ding geladen?«
    »Worauf du dich verlassen kannst!«
    »Wenn du damit in eine andere Richtung zielen könntest …?«
    »Allein der Gedanke, dass mir eine Pistole versehentlich losgehen könnte, wäre schon ein Grund, dir eins auf den Pelz zu brennen, mein Junge.« Sie wandte sich halb ab, und Melchior hörte das Klicken, mit dem der Hahn vorsichtig wieder auf die Pfanne gelegt wurde. Er kletterte hinein und zog den Fensterladen hinter sich zu; Dunkelheit fiel ins Innere des Raums. Renata war mehr eine Ahnung in Weiß als eine wirklichsichtbare Gestalt. Sie stand vor ihm und wartete darauf, dass er etwas sagte.
    »Hanuš, Filip – ihr könnt jetzt rauskommen!«, rief Melchior.
    »Oooch, verdammt!«, erklärten zwei jugendliche Stimmen unisono aus der Finsternis. »Woher hast du’s gewusst, Melchior!?«
    »Weil ich euch beigebracht habe, wie man sich links und rechts neben einem Fenster in den Schatten versteckt, damit man dem, der reinklettert, zur Not eine aufs Dach geben kann«, sagte Melchior.
    Renata wandte sich ab und hantierte in der Finsternis herum. Stahl ratschte über einen Feuerstein, Funken flogen in den Zunderschwamm, und wenige Augenblicke später erglühte der Docht einer Kerze und füllte den Raum mit goldenem Licht. Renata legte die Pistole auf den Tisch. Melchior trat zu ihr und umarmte ihre robuste, grauhaarige Gestalt. Er lächelte sie an. »Du bist keinen Tag älter geworden, seit ich dich zuletzt gesehen habe.«
    »Und du keinen Tag klüger.« Sie hielt ihn auf Armeslänge von sich. »Willkommen wie immer im Hause Augustýn, Melchior Khlesl.« Ihr Lächeln erstarb. »Sag mir – was ist los bei euch? Ich mache mir Sorgen.«
    Melchior umarmte Hanuš und Filip Augustýn, die jüngsten Söhne von Renata und Adam Augustýn, und klopfte ihnen auf die

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