Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
oder wollte, konnte an der Geschichte etwas ändern, die an dieses Haus gebunden war.
Er fühlte sich wie ein Hochstapler.
Seine Schwestern gehörten nicht in dieses beeindruckende Gebäude. Sicher, als Free hier übernachtet hatte, war sie höflich empfangen worden. Sie und die Herzogin verstanden sich sogar ganz ausgezeichnet. Aber Free war Gast, dies war nicht ihr Zuhause.
Sie hatte gelacht, als Oliver den Klingelzug betätigt hatte, um etwas zu essen kommen zu lassen. „Kannst du es dir nicht selbst holen?“, hatte sie gefragt. „Macht dich das Leben als Lord faul?“
„Ich bin kein Lord“, hatte er ihr mitgeteilt.
Sie hatte ihn unter hochgezogenen Brauen angeschaut. „Nicht dem Gesetz nach, vermute ich. Aber du rettest Jungfrauen in Nöten“, sie verdrehte die Augen, um zu zeigen, was sie davon hielt, „und gehst im Parlament ein und aus. Es gibt also keinen großen Unterschied oder jedenfalls keinen, den ich erkennen könnte.“
„Aber die anderen sehen den Unterschied“, hatte Oliver knapp erwidert, hatte an Bradenton denken müssen.
Aber sie zuckte nur die Achseln. „Du verwandelst dich in einen von ihnen.“
Tat er das?
„Warum hast du nicht eine anständige Rettung gebraucht?“, hatte er sie aufgezogen. „Ich bin dein älterer Bruder. Du musst mir doch das Gefühl vermitteln, nützlich zu sein.“
„Nein, muss ich nicht“, hatte sie ihm widersprochen. „Du bist ein erwachsener Mann. Finde selbst was Nützliches für dich.“ Aber sie hatte gelächelt, während sie das sagte und sich an ihn gekuschelt, wie sie es immer getan hatte, als sie noch klein war.
Jahrzehnte waren vergangen, seit seine Mutter auf dem Platz dort unten gesessen und darauf beharrt hatte, zur Kenntnis genommen zu werden.
Dennoch, der Anblick ihrer Bank rief ihm zu: Dein Platz ist nicht hier.
Oliver seufzte, blickte nach oben und verließ sein Zimmer und die beunruhigende Aussicht.
Die Räumlichkeiten seines Bruders befanden sich in einem anderen Flügel des Hauses, abgetrennt durch eine breite Treppe. Er ging nach unten, blieb vor Roberts Tür stehen, betrachtete sie nachdenklich und hielt unwillkürlich den Atem an.
Hinter dem Holz konnte er Minnie lachen hören. „Nein“, sagte sie, und ihre Stimme war leicht gedämpft, „nicht so. Ich …“
Es half nichts. Er würde sie stören, egal, was er tat. Er klopfte.
Minnies helles Lachen verstummte. Es entstand eine Pause, dann rief Robert: „Herein.“
Oliver öffnete die Tür.
Sein Bruder und dessen Frau saßen nebeneinander auf einem Sofa, sahen aus, als wären sie gerade erst voneinander abgerückt. Minnies Hand lag in Roberts, und ihre Wangen waren gerötet. Oliver hatte eindeutig etwas unterbrochen.
Oliver war in dem Wissen aufgewachsen, dass er einen Bruder hatte, aber Robert Blaisdell, dem Duke of Clermont, tatsächlich in Fleisch und Blut zu begegnen hatte etwas von einer Offenbarung gehabt. Robert war wie ein übergroßes Vogelküken, das zu früh zum Nestflüchter geworden war. Niemand hatte ihm je die wichtigen Dinge beigebracht. Er wusste nicht, wie man eine Faust machte oder einem Hieb auswich, wie man einen Köder am Haken befestigte oder wie man die Schnur auswarf, sodass die Fische auch wirklich anbissen.
Er hatte auch nicht gewusst, wie man einen vernünftigen Brief schrieb. Zwar war er faktisch drei Monate vor Oliver auf die Welt gekommen, aber Oliver hatte sich immer älter gefühlt.
Sieh, Robert, so musst du es tun. So benimmt sich ein richtiger Mensch.
Im Gegenzug wusste Oliver, wie wichtig er für Robert war. Oliver hatte Schwestern, einen Vater und eine Mutter. Robert hingegen … nun, er hatte Oliver und Minnie.
Oliver war ein Idiot, wenn er dachte, er sollte so etwas wie seine wirren Gefühle vor seinem Bruder ausbreiten. Robert hatte andere Sorgen.
„Oliver“, sagte Robert. Er legte den Kopf zur Seite. „Was ist los?“
Robert verfügte über ein untrügliches Gespür dafür, wenn jemand Probleme hatte. Er war furchtbar schlecht darin zu erraten, warum jemand aufgebracht war, aber er wusste, wenn etwas nicht in Ordnung war. Es war eine überaus irritierende Gabe.
„Robert, ich …“
Er wusste nicht, wie er es sagen sollte. Er wusste nur, dass er etwas sagen musste. Er lief auf und ab, dann drehte er sich zu den beiden auf dem Sofa um.
„Ich habe das Gefühl, ich gehörte nicht hierher“, erklärte Oliver schließlich.
Obwohl sein Bruder ausgezeichnet darin war zu erkennen, wann andere ein Problem hatten, war
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