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Die Erbin und ihr geliebter Verraeter

Die Erbin und ihr geliebter Verraeter

Titel: Die Erbin und ihr geliebter Verraeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Milan
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Sebastian war schon immer in seinem Element gewesen, wenn er zu einer Menge sprach. Er gestikulierte, wenn er redete. Aber heute wirkte er … anders. Seine Gesten waren ausholend, fast wild. Als habe er die Balance verloren und bemühte sich, sie zurückzugewinnen.
    Neben Oliver lehnte sich Violet Waterfield, die Countess of Cambury, vor, und Oliver schaute sie an.
    Er kannte Violet nicht so gut wie Robert oder Sebastian. Sie war Sebastians Nachbarin, und Oliver war nie über den Sommer zu Sebastian eingeladen worden. Er hatte von ihr gehört, aber er hatte sie nicht kennengelernt, bis er fast neunzehn war. Zu dem Zeitpunkt war sie bereits Countess, kühl und unnahbar.
    Heute Abend sah sie nicht unnahbar aus. Ihre gewohnte Ruhe war verschwunden. Sie beobachtete Sebastian mit uneingeschränkter Aufmerksamkeit, die Augen weit aufgerissen, die Lippen zu einem einladenden Lächeln geöffnet. Oliver hatte sie nie zuvor irgendjemanden so anschauen sehen. Sie zu beobachten war fast intim – als entdeckte er ein Geheimnis, das sie hegte. Als sei sie verliebt und im Moment nicht in der Lage, es zu verbergen.
    Das war ein beunruhigender Gedanke. Sebastian hatte immer darauf bestanden, dass er und Violet Freunde waren und zwar nur Freunde – nicht mehr. Sebastian sah niemanden und alle im Publikum an, suchte sogar Blickkontakt zu den Männern hinten im Saal, die ihn mit verschränkten Armen finster anstarrten. Er sah alle an außer Violet, und das war der Moment, in dem Oliver erkannte, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.
    Dieses Gefühl dauerte den ganzen Vortrag über an. Während der Fragen saß Violet auf der Kante ihres Stuhles und beugte sich vor, konzentrierte sich ganz auf Sebastian und nickte bei seinen Antworten leise, als hielte er den Schlüssel zum Universum in Händen. Das ging so, bis Sebastian sich das letzte Mal verneigte und Oliver sich zu ihm vorkämpfte, um den zweiten Teil ihres Plans in die Tat umzusetzen.
    „Interessante Schlussfolgerungen, Malheur“, sagte ein Mann gerade und klopfte Sebastian auf die Schulter. „Ich lerne bei Ihnen immer etwas Neues.“
    „Vielen Dank“, sage Sebastian. „Das bedeutet mir sehr viel.“ Seine Stimme war warm, und er schaute alle an, aber seine Antwort hatte etwas Mechanisches, als achtete er nur halb darauf.
    Ein anderer Mann aus dem Publikum fasste ihn an Ärmel. „Malheur, Sie Abschaum.“ Er kniff die Augen zusammen und ballte eine Hand zur Faust, als spiele er mit dem Gedanken, Sebastian einen Kinnhaken zu verpassen. „Sie werden in die Hölle kommen für das, was Sie getan haben, und ich hoffe, Sie schmoren dort bis in alle Ewigkeit.“
    „Vielen Dank“, sagte Sebastian herzlich und schaute ihm in die Augen. „Das bedeutet mir sehr viel.“ Er klopfte dem Mann auf die Schulter – ein freundliches Klopfen, als hätten sie eben Höflichkeiten ausgetauscht – und ging weiter.
    „Ich hoffe, jemand schlitzt Ihnen die erbärmliche Kehle auf“, erklärte ein bärbeißiger Mann mit buschigen Koteletten in Richtung Sebastian.
    Er antwortete nur: „Vielen Dank. Das bedeutet mir sehr viel.“
    Es war, als habe er einen Automaten an seiner Stelle geschickt.
    Oliver trat zu seinem Freund, hatte fast Angst, ihn daran zu erinnern, was sie geplant hatte. Er war sich nicht sicher, was er tun würde, wenn er seinen Freund ansprach und die gleiche herzliche automatische Antwort erhielt.
    Und vielleicht war es so auch nur gut. Weil es für jeden Mann, der ihm zu seiner Arbeit gratulierte, mindestens drei gab, die ihn beschimpften. Drohten. Sich beschwerten. Eine Frau legte sogar Hand an ihn und versetze ihm einen Stoß.
    Sebastian behandelte alle gleich. Er schenkte ihnen ein Lächeln, eines, das auf seinem wächsernen Gesicht schrecklich falsch wirkte, nickte ihnen zu und dankte ihnen überschwänglich und auf eine lachhaft aufrichtige Art.
    Oliver atmete fast erleichtert auf, als Violet zu ihnen stieß. Sie kannte Sebastian. Sie waren seit Ewigkeiten Freunde. Und wenn ihr etwas an ihm lag …
    Violet musste die Hand ausstrecken und Sebastian am Ärmel fassen, bevor er sich zu ihr umdrehte. Sie lächelte ihn an, strahlte, aber auf ihrem Gesicht war nur ein Abglanz des Strahlens, das sie während seines Vortrages auf ihn gerichtet hatte.
    „Sebastian“, sagte Violet.
    Sebastian hatte all die Leute im Saal angelächelt, so entschlossen, dass Oliver sich fragte, ob er vielleicht krank sei. Er blickte Violet an und aller Humor schwand von seinem Gesicht, die

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