Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
Freundlichkeit weggewischt wie Kreideschrift von einer Tafel.
„Was?“, verlangte er knapp zu wissen.
„Du warst großartig, Sebastian“, erklärte sie. „Einfach großar…“
Er machte einen unsicheren Schritt nach hinten. „Hau ab, Violet“, stieß er wild hervor. „Hau endlich ab.“
Das hatte er während einer zufälligen Gesprächspause in seiner unmittelbaren Umgebung gesagt, sodass alle seine Worte hören konnten.
Violet zuckte zusammen.
Oliver stellte sich neben seinen Freund. „Sebastian“, sagte er leise. Er wappnete sich für einen ähnlichen Ausbruch.
Aber als Sebastian sich zu ihm umdrehte, sah er nur müde aus, nicht zornig.
„Ah, Oliver. Vielleicht kannst du erklären …“
„Entschuldigen Sie uns“, sagte Oliver zu den Umstehenden. „Er ist betrunken.“
„Das bin ich n…“
„Das könntest du aber sein“, flüsterte Oliver ihm zu und zog ihn am Arm. „Was, zur Hölle, soll das? Du weißt, was auf dem Spiel steht. Was wir tun müssen.“
Sebastian öffnete den Mund zu einer Erwiderung, und da hörte Oliver es – diese seltsam zaghafte Stimme, an die er sich von dem lange zurückliegenden Spaziergang mit Sebastian erinnerte.
„Mr. Malheur? Mr. Malheur?“ Die Stimme ertönte von hinter ihnen. „Sie wollten mit mir reden? Das heißt, ich habe eine Nachricht von Ihnen bezüglich einer pikanten Kleinigkeit, die Sie mir mitteilen wollten?“
Sebastian und Oliver drehten sich gleichzeitig um. Titus Fairfield stand vor ihnen, rieb sich die Hände. Er trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.
„Ist es gerade ungünstig?“, fragte er.
Himmel, war der Mann unfähig. Jeder mit einem Minimum an Hirn konnte sehen, dass das hier der vollkommen unpassende Zeitpunkt war – der schlechteste überhaupt.
Aber Sebastians Miene änderte sich nicht, blieb vollkommen ausdruckslos.
„Mr. Fairfield“, sagte er mit abweisender Stimme, die im Gegensatz zu seinen freundlichen Worten stand. „Sie sind genau der Mann, den ich sehen wollte.“
„Bin ich das?“ Selbst Fairfield klang nicht überzeugt.
„Doch, sicher. Unseligerweise bin ich momentan ein wenig angeheitert.“
Oliver atmete ein. Das war nicht der Plan, den er mit Sebastian ausgearbeitet hatte. Er machte einen Schritt vor, streckte die Hand aus, aber sein Cousin war schon weiter.
„Glücklicherweise wird meine gute Freundin Violet Waterfield, die Countess of Cambury, alles erklären. Ich vertraue ihr uneingeschränkt, daher …“
„Was soll das?“, zischte ihm Oliver zu. „Das war nicht so geplant.“
„Ja“, sagte Sebastian. „Ich kann mir gut vorstellen, dass Violet alles erläutern kann, mindestens so gut wie ich. Und den Spieß umzudrehen ist immer fair.“
Oliver blickte zu Violet. Er hätte gedacht, sie würde gekränkt aussehen, verletzt von Sebastians wüstem Ausbruch. Wenigstens hätte er gedacht, sie wäre verwirrt. Stattdessen zuckte sie nur die Achseln.
„Komm, Oliver“, verkündete Sebastian und hakte sich bei Oliver unter. „Überlassen wir die Sache Violet.“
„S O WAR DAS NICHT geplant“, teilte Oliver Sebastian mit, als der auf die Straße trat. „So wollten wir das nicht machen. Wir sollten …“
„Komm weiter, Oliver“, sagte Sebastian. „Wenn wir jetzt stehen bleiben und zurücksehen, denkt Fairfield am Ende, er könne mit mir reden. Und im Moment ertrage ich ihn nicht.“
„Hier geht es nicht um dich“, schäumte Oliver. „Es geht um …“
Sein Cousin blieb auf der Straße stehen und schaute sich um. Es war inzwischen dunkel, und ein wenig Nebel war aufgezogen. Die Straßenlaternen waren angezündet worden, und sie gaben ihr Bestes, die Dunkelheit mit ihrem Licht in Schach zu halten. Aber es reichte nicht ganz.
„Es ist eine gute Weile her, seit es um mich ging“, erklärte Sebastian schließlich. „Ich denke, jetzt bin ich einmal an der Reihe.“
Und in diesem Augenblick schaute Oliver seinen Freund an. Sebastian sah … mitgenommen aus, war das Wort, das Oliver am ehesten zuzutreffen schien.
„Violet wird sich darum kümmern“, sagte Sebastian. „Sie mag Miss Fairfield, und sie ist eine erschreckend fähige Frau, die fähigste, die ich kenne. Wenn du besser aufpassen würdest, wäre dir vielleicht aufgefallen, dass mindestens die Hälfte der Bevölkerung Englands mich tot sehen will. Ich denke, es ist mir gestattet, unter der Anspannung auch mal einen Riss zu bekommen. Ein Mal, das sollte man mir zugestehen.“
Es schien unmöglich. Sebastian wirkte
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