Die Erbin
Champagnerkühler zurechtstellte. Der Chef de salle selbst begutachtete die Flasche, ehe sie an den Tisch getragen wurde. »Was wollen Sie feiern, Madame?«
»Den heutigen Abend. Die Bekanntschaft mit einem Russen.«
»Dann sollten wir nicht im ›George V.‹ Champagner trinken, sondern in einem russischen Kabak. Kabak heißt ganz schlicht Kneipe. Ich kenne eine in St. Germain. Fahren wir hin?«
»Unmöglich!« Sie sah ihn geradezu entsetzt an. »Ich kann doch nicht mit Ihnen in eine russische Kneipe fahren!«
»Warum nicht?«
»Mein Chauffeur im Rolls-Royce! Morgen weiß es die ganze Konzernspitze. Das gibt Schwierigkeiten!«
»Sie sind eine Gefangene Ihres eigenen Konzerns?«
»Wenn man es so sieht, ja! Wir könnten in jede Bar fahren – aber nicht in einen russischen … wie heißt es?«
»Kabak!« Lobows Gesicht glich dem eines kleinen Jungen, der dem Weinen nahe ist. »Wir müssen weitersprechen, Madame. Ich muß Ihre Schiffe haben! Moskau wartet auf meine Antwort. Wo könnten wir uns treffen? Bitte nicht im Maxim oder im Ritz oder hier oder im Grillon. Mich irritiert das alles. Ich bin ein einfacher Mensch …«
»Das gefällt mir so an Ihnen, Lobow.«
»Sie können mich auch Boris Jegorowitsch nennen, Madame.«
»Das kann ich nicht aussprechen.«
»Üben wir es? Es ist ganz leicht. Boris …«
»Boris …«
»Sehen Sie! Und nun: Jegorowitsch. Betonung auf dem ersten o. Jegorowitsch.«
»Jegorowitsch.«
»Bravo!« Lobow trank seinen Mokka aus. Er sah um sich, aber keiner brachte ihm die Rechnung. Bei einer Lyda Penopoulos schiebt man kein Blatt Papier über den Tisch. Das wird zentral geregelt von der Konzernbuchhaltung. »Wo darf ich Sie hinbringen, Madame?«
»Ich heiße Lyda«, sagte sie. »Wenn ich schon Boris Jegorowitsch sage …« Sie schüttelte den Kopf und lächelte wieder. »Ich werde nach Hause fahren.«
»Aber ich möchte Sie wiedersehen, Lyda.«
»Alle Verträge wird mein Direktor Kostas Portales mit Ihnen aushandeln. Ich gebe ihm die nötigen Anweisungen.«
»Ich möchte Sie privat wiedersehen, Lyda.«
»Man würde sofort darüber reden.«
»Es braucht uns doch keiner zu sehen.«
»Ein heimliches Rendezvous …?«
»Nennen Sie es so!«
»Romantik in unserem nüchternen Zeitalter. Gibt es die noch?«
»Man muß sie nur suchen.«
»Im Bois de Boulogne?«
»Auch dort.« Lobow beugte sich über den Tisch und legte seine Hand auf ihre Hand. Eine weiche, gepflegte Hand. »Wann also, Lyda?«
»Übermorgen um zehn Uhr vormittags.«
»Und wie entkommen Sie den hundert Augen?«
»Ich werde zu einer Freundin fahren und durch einen Hinterausgang weglaufen.«
»Wie ein kleines Mädchen …« Er lächelte sein Jungenlächeln. Sie hielt den Atem an. Was ist das, dachte sie. Er hat recht. Ich benehme mich wie ein kleines, dummes Mädchen bei seinem ersten Abenteuer. Und ich bin glücklich dabei. Ich bebe schon jetzt, wenn ich an übermorgen denke. Ich sollte flüchten, mich verstecken, mich verleugnen lassen, wenn er anruft. Ich sollte ihn einen widerlichen Kommunisten nennen, einen Weltfeind, einen Zerstörer … Statt dessen gebe ich ihm neun Schiffe und werde mich heimlich mit ihm treffen. Was ist los mit dir, Lyda?! Er ist ein armer Funktionär mit einem Monatsgehalt, das unter dem meiner Inspektoren liegt. Er hat ein Glasauge, seine Anzüge sind aus dem Kaufhaus, seine Schuhe sind Massenware, sein Schlips ist billigste Qualität. Er kommt aus einer ganz anderen Welt. Und trotzdem trommelt mein Herz, wenn ich an ein Wiedersehen denke. Du bist verrückt, Lyda, du wirst dich nachher unter die kalte Dusche stellen, wie du es im Pensionat getan hast, wenn du dich in deinen Lehrer verliebt hattest und wußtest, daß du ihn nie in dein Bett bekommen würdest. Damals hast du dir das Kissen zwischen die Schenkel geklemmt und geträumt, es sei sein Körper. Darüber bist du nun hinaus. Aber du mußt etwas tun, um diesen Russen zu vergessen!
»Eine Frau bleibt immer ein Mädchen«, sagte sie und stand auf. Der Oberkellner zog sofort den Sessel zurück, und der Chef de salle bereitete sich auf eine korrekte Verbeugung vor: Kopf nach unten, die Beine leicht einknicken.
»Eine gute Bemerkung«, sagte Lobow und faßte sie unter. »Ich werde sie mir merken.«
Später stand Lobow allein vor dem Portal des ›George V.‹ und blickte versonnen die Rue George V. hinunter zu den Champs-Elysées, wo Lyda mit ihrem Rolls-Royce verschwunden war. Sie hatte ihm nicht zugewinkt, als sie abfuhr;
Weitere Kostenlose Bücher