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Die Erbsünde

Titel: Die Erbsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barnard Christiaan
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paar Tage. Wir haben die Ferien an der Küste verbracht. Und du?«
    »Ich habe im Pathologielabor gearbeitet.«
    »Ach, wirklich?« sagte Deon desinteressiert. »Und was hast du da gemacht?«
    »Dasselbe wie in den Sommerferien. Der Professor arbeitet an einer neuen Methode der Chromosomenforschung. Ich habe dir schon davon erzählt.«
    »Ach ja«, sagte Deon, der nur halb hingehört hatte, denn eine Ärztin, die er von der Verwaltung her kannte, betrat gerade mit säuerlicher Miene den Hörsaal. Ihr folgten einige Herren.
    Sofort war die Atmosphäre angespannt, und Deon erinnerte sich, wie er einmal als Kind mit seinem Vater im Zirkus war. Damals hatte er dieselbe Mischung von Grauen und Verzückung empfunden, als die Käfige sich öffneten, um die wild fauchenden Löwen in die Manege zu lassen.
    Die Verwaltungsdame hieß sie alle kühl willkommen, und mit monotoner Stimme hielt sie einen endlosen Vortrag über die Krankenhausvorschriften, genau wie es in dem Leitfaden stand. Sie wurden angewiesen, ihre Namensschilder zu tragen, Formulare gut leserlich auszufüllen, Totenscheine und Atteste für ansteckende Krankheiten auszustellen. Operationseinwilligungszettel und Rezepte zu schreiben, die Geräte und Apparaturen zu schonen und das Pflegepersonal nett und höflich zu behandeln. Als sie fertig war, stellte sie einen gebeugten, grauhaarigen Herrn vor. Er war der Leiter der Blutbank. Auch er hielt einen Vortrag. Zum Schluß wurden sie gebeten, Formulare für das Finanzamt, die Bank und den Sportverein auszufüllen und sich am nächsten Vormittag wieder zu melden.
    Beim Verlassen des Hörsaals sagte Deon zu Robby: »Nach all dem Quark jetzt mal zur Sache. Hast du schon eine der Krankenschwestern abgeknutscht, Doktor?«
    »Nein, Doktor, noch nicht. Aber ich habe schon die entsprechenden Nachforschungen angestellt.«
    Einer der älteren Assistenzärzte hatte sie im Vorbeigehen gehört und sagte warnend: »Macht euch nichts vor. Das hier ist kein Zuckerschlecken.«
    Sie sahen ihn streitlustig an, sagten aber nichts. Er nickte bekräftigend. »Ihr könnt mir's glauben, das wird ein langes Jahr.«
    Was nun begann, war für Deon eine endlose Folge schlafloser Tage und Nächte, durch die er sich in einem Taumel ständiger Erschöpfung schleppte. Er schien ununterbrochen auf den Beinen zu sein: auf der Station, im Operationssaal, in der Poliklinik. Wenn er einmal zum Schlafen kam, war es meist nur für eine Stunde oder zwei. Er wußte dann schon beim Einschlafen, daß nur zu bald die geisterhafte Stimme aus dem Lautsprecher flüstern würde:
    »Dr. Van der Riet, Dr. Van der Riet!«
    Und doch hatte er sich nie zuvor so intensiv lebendig gefühlt. Seine Sinne waren seltsam wach, ja überreizt. Er meinte manchmal, seine Nerven unter der Haut kribbeln zu spüren. Die Farben wirkten greller, sein Gehör war überscharf und reagierte auf die feinsten Geräusche, vom leisen Quietschen der Gummisohlen einer sich nähernden Schwester bis zum Röcheln eines alten Mannes, der im Todeskampf lag.
    Es beunruhigte ihn, zu sehen, wie seine Vorahnungen sich erfüllten. Nie würde er die junge Frau vergessen, die eines Nachts mit leichtem Bluterbrechen eingeliefert wurde. Man hatte ein Zwölffingerdarmgeschwür festgestellt. Die Schwester gab ihr ein Mittel gegen Magensäure, und am nächsten Tag sollte sie operiert werden. Sie war um die dreißig und auffallend hübsch.
    Bei der Morgenvisite scherzte der Chirurg mit ihr, und sie ging kess auf seinen Ton ein. Deon, der einen Schritt zurücktrat, um den nächsten Patienten besser sehen zu können, stieß versehentlich gegen ihr Bett. Als er sich über sie beugte, um sich zu entschuldigen, stieg ihm der eigentümliche Geruch nach Tod in die Nase, eigentlich war es nur ein Hauch. Die Frau fing seinen erschrockenen Blick auf, und ihr Gesicht verdüsterte sich.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte er sanft. Sie legte sich behaglich in die Kissen zurück, ihre weichen, trägen Glieder waren völlig entspannt in dem duftigen, rosabestickten Nachthemd.
    »Tollpatsch«, flüsterte sie schelmisch und zwinkerte ihm zu.
    Nach der Visite nahm er sich ihre Krankengeschichte vor, aber es stand nichts Ungewöhnliches drin. Außer dem Geruch, den er sich wahrscheinlich eingebildet hatte, und einem unheimlichen Gefühl gab es keinen Anlass zur Besorgnis. Schließlich sagte er sich, daß die drei Todesfälle gestern in B4 ihn wohl nervös gemacht haben mußten.
    Am Nachmittag verspürte die Patientin Übelkeit.

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