Die Erfinder des guten Geschmacks
Vertrages mit dem Hôtel de Paris stand eindeutig, dass ich nicht innerhalb von vier Jahren drei Sterne im Michelin holen muss«, berichtet Ducasse. Er benötigte dafür lediglich 33 Monate. Bald wollte halb Frankreich kochen wie er. Sonnengetrocknete Tomaten, Rotbarben, Basilikum und Thymian hielten auf vielen, vielleicht zu vielen Speisekarten Einzug. Altstar Paul Bocuse wetterte im französischen Fernsehen, »dies sei gute, aber keine große Küche« und im Übrigen viel zu einfach, um als große Küche durchgehen zu können. Schon 1993 titelte der renommierte Wine Spectator : »Ducasse – World’s best chef?« Damals noch mit einem Fragezeichen versehen. Drei Jahre später folgte die nächste Herausforderung: Joël Robuchon ging in Frührente, Ducasse übernahm das Pariser Haus des großen Kochs. Und kopierte nicht etwa seine monegassischen Klassiker, sondern kreierte einen eigenen Pariser Stil mit bourgeoisen und klassischen Einflüssen. Wenige Monate später wurde er mit seinen beiden Spitzenrestaurants in allen maßgebenden Guides zum höchstdekorierten Cuisinier seit Mutter Brazier aus Lyon. Das Szenelokal Spoon folgte 1998, Hoteliers rund um die Welt kauften das neue Konzept an.
Ein weiteres Top-Lokal in New York kam im Jahr 2000 hinzu. Inzwischen ist »Alain Ducasse at the Essex House« jedoch wieder geschlossen. Da kochte Ducasse schon längst nicht mehr, er hatte das System »ein Spitzenkoch – ein Lokal« sozusagen »geknackt«.
Sicher, es gab Widerstände: Gäste, die auf einen Handschlag von Alain Ducasse hofften, gehörten ebenso dazu wie der Guide Michelin , der bei jeder Neueröffnung zwar das neue Lokal mit drei Sternen auszeichnete, das monegassische Louis XV, ein Lokal, in dem sich absolut nichts geändert hatte, jedoch abwatschte.
Ducasse war eine lebende Marke geworden. Ein Status, hinter dem eine perfekt ausgeklügelte Organisation stand: Jeder Mitarbeiter, gleich wo er vorher arbeitete, erhält eine hauseigene Schulung. Und wenn er sich bewährt, dann kommt es vielleicht eines Tages zu einem faustischen Moment. Der große Meister höchstpersönlich wird den jungen Koch fragen, wo er denn in Zukunft gern arbeiten würde. In einer rustikalen Auberge? Im Bistro, im Szenelokal? In einem Haute-Cuisine-Lokal? Es istdie Minute, die ein Leben bestimmen kann. Wer sein Talent überschätzt oder, häufiger, seine persönliche Neigung falsch einschätzt, wird scheitern und später eher mit der eigenen Entscheidung als mit dem Lehrmeister hadern.
Als Unternehmer lautet Ducasses wichtigste Regel: »Wir beraten meist und investieren nur selten eigenes Geld.« Für die Top-Restaurants und die Spoons berechnet Ducasse Consulting-Honorare. »In die großen Häuser investieren wir nicht selbst.« Eigenes Geld steckt dagegen in Bistros, Auberges, der Kochschule, der Bäckerei sowie der Reservierungszentrale von Châteaux & Hôtels Collection, einem Hotelverband. Zum Vergleich: Ein französisches Spitzenrestaurant kann ein bis drei Prozent von seinem Umsatz als Gewinn verbuchen, ein gut gehendes Bistro zehn bis 15 Prozent.
Etabliert werden auch Partnerschaften zwischen Alain Ducasse und Qualitätsprodukten aus dem Non-Food-Bereich. So war er »Peugeot-Botschafter«, und für Miele schulte er die Außendienstler für Frankreich. Die Marke hat dort einen erstklassigen Ruf bei Waschmaschinen, ihre Herde sind aber weitaus weniger bekannt. Mieles Mitarbeiter bekamen ein Briefing mit Verkaufsargumenten aus Profi-Sicht. Fertigkost kommt nicht infrage: Ducasse nimmt im kulinarischen Bereich nur Verträge an, wenn er die Qualität des finalen Produkts bestimmen kann.
Für seine Restaurants organisiert er rigorose Qualitätskontrollen: »Jeder Beratervertrag gibt mir das Recht, das betreffende Lokal 30 bis 40 Mal pro Jahr anonym besuchen zu lassen. Kein Restaurantführer kann sich derart viele Tests leisten. Zusätzlich bewertet von Zeit zu Zeit ein Koch aus meinem engen Mitarbeiterkreis die Mitarbeiter in der Küche – einschließlich des Küchenchefs.«
Weil Kochen letztlich Handwerk ist, bildet Ducasse fortwährend selbst aus. Dazu verfügt er über eine eigene Kochschule namens AD-Formation. Finanziert wird die Schulung nicht nur vom Kunden, sondern auch vom französischen Staat, der Arbeitgebern eine Art »Fortbildungsgebühr« abverlangt. Inzwischen versorgt ein eigener Verlag die Teilnehmer mit Lehrmaterial und Kochbüchern.
Was früher der Guide Culinaire von Auguste Escoffier war, ist heute die
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