Die Erfinder Des Todes
einer Reihe schmutzig weißer Wagen rumpelte über den Viadukt. Sie hörte eine blecherne Stimme Erklärungen geben, allerdings zu weit weg, um die Worte verstehen zu können. »Was in aller Welt ist denn das?«, fragte sie, deutete auf den Zug und wandte sich zu Berrocal um.
Er hob mit einer müden, resignierten Geste die Augenbrauen.
»Der Tren Real«, seufzte er, »so heißt er, der königliche Zug. Er fährt Touristen durch die Altstadt und über die Circunvalacion.«
Fiona lächelte. »Fällt schon ein bisschen schwer, sich die königliche Familie darin vorzustellen.«
Berrocal machte ein gequältes Gesicht. »Es ist würdelos«, gab er zu. »Nicht gerade mein Lieblingsbeispiel für den Tourismus in Spanien.«
Sie stapften schweigend zum Wagen zurück. Fiona sah kaum etwas von der Umgebung, sie war zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt, um die Landschaft oder den Blick auf die Stadt bewundern zu können, die an der Straße wieder vor ihnen in Sicht kam. »Jetzt gehen wir zur Kirche«, kündigte Berrocal an.
Fiona ließ sich ihre Ungeduld nicht anmerken. Sie wollte endlich mit ihrer eigentlichen Arbeit anfangen und nicht noch mehr Zeit mit der Inspektion von Tatorten vertrödeln. Wenn sie so weitermachten, hätte sie ebenso gut mit Kit ins Hotel gehen können. Es hätte genauso viel gebracht.
Siebzig Meter oberhalb der Panoramastraße, auf der Fiona zur Stadt zurückfuhr, öffnete Kit zwei schwere Holzfensterläden, die mit Eisenbeschlägen verziert waren. Das Licht strömte ins Zimmer, und er pfiff leise, als er die Aussicht sah. Das Parador Conde de Orgaz, das nach dem berühmtesten Gemälde El Grecos im Besitz der Stadt benannt war, stand auf dem Gipfel des Cerro del Emperador und bot einen atemberaubenden Blick auf Toledo, das sich davor ausbreitete. Die fast unwirkliche Ansicht hatte trotz der viereinhalb Jahrhunderte, die dazwischen lagen, immer noch eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem Hintergrund vieler anderer Greco-Gemälde. Das Parador war sehr schön auf einem Felsvorsprung gegenüber der Stadt gelegen, und von ihrem Zimmer aus überblickte man den gesamten mittelalterlichen Stadtkern. Kit beschloss, der Versuchung nachzugeben.
Zwanzig Minuten später setzte ihn ein Taxi an der Plaza de Zocodover ab, einem belebten Platz, den sein Reiseführer als das Herz des gesellschaftlichen Lebens der Stadt bezeichnete.
Die hohen Gebäude mit den Fensterläden, von denen viele Cafés und Konditoreien beherbergten, waren von leicht schäbiger Eleganz. Eine typisch südeuropäische Provinzstadt, dachte Kit.
Gemächlich überquerten Frauen mit ihren schweren Einkaufstüten den Platz, alte Männer saßen rauchend und schwatzend herum, Teenager in Markenkleidung standen lässig an Tore und Ecken gelehnt und warfen verstohlene Blicke auf das andere Geschlecht, wenn sie gerade mal nicht posierten, um Eindruck zu schinden. Aber so war es nicht immer gewesen.
Kit wusste durch seine Lektüre, dass Toledo zuerst von den Römern, dann von den Westgoten, von den Mauren und schließ-
lich von den Christen eingenommen worden war. Obwohl es die Hauptstadt Kastiliens und im Mittelalter der Ausgangspunkt für die Feldzüge gegen die Mauren wurde, hatte es sich auch einen Ruf als Ort kultureller Toleranz erworben.
Aber all dies hatte sich mit der politisch opportunen Heirat Ferdinands von Aragon mit Isabella von Kastilien im Jahr 1479
geändert. Isabellas Beichtvater war Tomas de Torquemada, der Mann, der vom Papst zum ersten Großinquisitor der spanischen Inquisition ernannt wurde.
Kit hatte Fiona lediglich gesagt, er interessiere sich für die El Grecos in Toledo. Aber das war nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Was ihn an der Stadt angezogen hatte, war die Aussicht, durch die gleichen Straßen streifen zu können, auf denen Torquemada gegangen war, von denen viele seit dem fünfzehnten Jahrhundert und länger praktisch unverändert geblieben waren. Er wollte sich von seiner Phantasie in eine Zeit zurücktragen lassen, in der die Straßen Toledos von Furcht und Hass erfüllt waren, der Bruder den Bruder verriet und geweihte Priester so gründliche Foltermethoden ersannen, dass sie immer noch Anwendung fanden, wenn der Staat einen religiösen Feldzug dazu missbrauchte, sich zu bereichern.
Toledo war eine Stadt, deren Boden durch Eroberungen und Unterdrückung förmlich vom Blut ihrer Bewohner getränkt war.
Die Aussicht, entdecken zu können, wie viel sich von dieser Atmosphäre erhalten hatte, war
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