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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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wollen?
    Ich selbst hatte sie in der Vergangenheit für eine ideale Mutter gehalten, ich hatte mich nie über sie beschwert, und ich hatte mit der Zeit schon verstanden, dass sie etwas Schweres und Dunkles erlebt hatte und deshalb anders war als andere Mütter. Anders – aber doch nicht schlechter, wie sie es jetzt in ihrem Brief darstellte!
     
    Ihre Anklagen, vor allem aber ihre Bereitschaft, in Zukunft alles anders machen zu wollen, machten mir Angst, ich wollte überhaupt nicht, dass alles anders wurde, vieles konnte doch so schön und vertraulich bleiben, wie es immer gewesen war! Sollten wir jetzt etwa keinen Tee mehr zusammen trinken und keine Frauenstimmen in einsamen Felslandschaften mehr singen hören? Sollten wir nicht mehr zusammen einkaufen gehen und auf dem Wochenmarkt Obst und Gemüse aussuchen? Eigentlich hatte ich doch gar keine Lust darauf, jeden Tag mit anderen Kindern zu spielen, eigentlich würde es doch genügen, mit Mutter weite Spaziergänge in Köln zu unternehmen, mit den Straßenbahnen zu fahren oder vielleicht sogar auf Fahrrädern gemeinsam unterwegs zu sein!
     
    Hinzu kam, dass Mutters Brief von einer starken Feierlichkeit war und dass diese Feierlichkeit und der damit verbundene Ernst etwas Erdrückendes hatten. Selbst Vater blieb davon nicht unberührt, das konnte ich schon daran erkennen, dass er beim Vorlesen längere Pausen machte, sich immer wieder räusperte und die Lektüre kaum zu Ende brachte. Viel hätte nicht gefehlt und ich hätte ihn zum ersten Mal in meinem Leben weinen sehen … – Vater weinen, einen weinenden Vater … – etwas Abwegigeres konnte ich mir nicht vorstellen.
    Ich wollte ihn aber nicht weinen sehen, auf keinen Fall, niemand sollte weinen, ich selbst wollte es auch nicht, nein, verdammt, es gab keinen Grund für das Weinen, es sollte mit dem verdammten Weinen endlich vorbei sein! Wenn man etwas lernte und sich große Mühe gab, bestand nicht der geringste Grund für das Weinen, man war einfach zu beschäftigt dafür, ja noch mehr: Man war zum Weinen gar nicht erst in der Lage!
     
    Gut also, genug, ich schaute Vater an, dann aber tat ich etwas, was ich mir gar nicht vorgenommen hatte, sondern was aus einem Instinkt heraus geschah, angeblich tat ich es sehr entschlossen, ja sogar mit einer deutlich nach Entschlossenheit aussehenden Miene: Ich soll meinem Vater den Brief aus der Hand genommen, ihn zusammengefaltet und dann in meine Tasche gesteckt haben, ich soll einmal kräftig genickt haben und dann aufgestanden sein. Ich soll die Decke, auf der ich mit Vater gesessen hatte, zusammengefaltet und über den linken Arm genommen haben. Ich soll mit der rechten Hand nach Vaters linker Hand gegriffen und sie festgehalten haben. Dann aber sollen wir zusammen zurück in die Gastwirtschaft gegangen sein, wo es uns beide sofort in die Küche gezogen habe, um dort aus der hohlen Hand etwas zu trinken. Nach diesem gierigen Trinken aber soll ich Vater minutenlang nass gespritzt und dabei so laut und schrill geschrien haben, wie man es von mir bis dahin noch nie gehört hatte …
    Herrgott, es fällt mir wirklich nicht leicht, von diesen Erlebnissen zu erzählen! Die ganze Welt dieser Tage ersteht wieder neu, bis hin zu ihren Gerüchen und Atmosphären. Als ich für einen kurzen Moment lüften wollte und die Fenster meines Schreibzimmers öffnete, glaubte ich plötzlich wahrhaftig, die alte Gewitterschwüle des Landes zu riechen, diese warme, vom Boden aufsteigende Schwüle mit ihrem betäubenden Gräser- und Wald-Geruch, eine Schwüle wie zum Zerreißen kompakt und überspannt, so dass man einen starken Regen herbeiwünscht, der diese dichte, atemlos machende Ballung vertreibt!
    Dabei war es hier in Rom überhaupt nicht schwül, sondern nur heiß, eine große, mir meist sehr wohltuende Hitze ließ alles erstarren, der Himmel aber war klar und von jenem Blau, das es nur in Rom gibt, also nicht das übliche Himmelszeltblau, sondern ein Kaiserzeltblau, ein Triumphblau! Es ist ein Blau, das mir immer so vorkommt, als wäre es zu Zeiten der triumphalen Einzüge der römischen Feldherren in die Ewige Stadt entstanden und seither nicht mehr verschwunden. In diesem Blau sind geheime Mischungen aus Silber und Gold, etwas von der Schönheit der Meere und der Ferne Afrikas, ja sogar von der Schönheit des Orients enthalten! Jedenfalls ist es kein europäisches Blau und auch kein Mittelmeerblau, sondern eben ein einzigartiges, römisches Blau , das mir immer so vorkommt wie ein

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